Automatisierte Lkw: Projekt Anita wird konkret

31. Jan. 2022 Newsletter / Fahrzeug & Technik
Das Projekt Anita (Autonome Innovation im Terminalablauf) nimmt an Fahrt auf. Spätestens 2023 sollen automatisierte Lkw von MAN im Duss-Terminal in Ulm fahren.
Die Protagonisten, das sind die Deutsche Umschlaggesellschaft Schiene–Straße (Duss) als Betreiberin der Flächen und des KV-Terminals in Dornstadt, der Fahrzeugbauer MAN, die Hochschule Fresenius als wissenschaftlicher Partner und der Automatisierungsspezialist Götting. Zusammen wollen sie bis zum Projektende im September 2023 Erkenntnisse darüber sammeln, wie sich einerseits die Prozesse im Terminalbetrieb weiter digitalisieren lassen und andererseits ein autonomer Lkw die Umfuhren zwischen dem Leercontainerdepot und dem KV-Terminal übernehmen kann.
Projektpartner legen Ablaufplan fest
Nun haben die Projektpartner den zeitlichen Ablauf festgezurrt: Im Rahmen des Projekts Anita sollen sich spätestens 2023 automatisierte Lkw auf dem Container-Depot von DB Intermodal Services und dem Duss-Terminal in Ulm Dornstadt selbstständig bewegen. Damit würden die Abläufe und Prozesse am Terminal universell für alle beteiligten Systeme übersetzt, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Mit dieser „Missionsplanung" geht nun die Fahrzeugentwicklung in die entscheidende Phase.
Lkw und Terminal-Infrastruktur reden miteinander
Damit künftig ein Lkw vollautomatisiert auf den Duss-Terminals in Ulm fahren kann, muss er sich mit der Infrastruktur verständigen können. Diese Erkenntnisse hat die Hochschule Fresenius nun gemeinsam mit ihrem Partner Deon Digital in ein digitales Regelwerk übertragen und dafür verschiedene Module auf Basis einer gemeinsamen Sprache programmiert. „Für eine eindeutige und vollständige Kommunikationskette haben wir dafür als gemeinsame Sprache die CSL Contract Specification Language von Deon Digital genutzt“, erläutert Prof. Christian Haas von der Hochschule Fresenius. Wie ein Universal-Dolmetscher spreche die Lösung die Sprachen aller heterogenen Systeme und leite den automatisierten Lkw schließlich durch den Prozess des Containerumschlags.
MAN und Götting nutzen Lösung fürs Fahrzeug
Diese Software, die laufend optimiert wird, können die Projektpartner MAN Truck & Bus und Götting nun in die Entwicklung des autonomen Fahrzeugs einfließen lassen. Voraussichtlich Ende des Jahres 2022 sollen die ersten Testfahrten mit dem Prototypen-Lkw in Ulm Dornstadt stattfinden. Perspektivisch sollen auch in anderen Containerterminals der DB in Deutschland digitalisiert und automatisiert werden – entlang einer Roadmap, die zum zukünftigen Terminal 4.0 führt.
Eine der Besonderheiten ist die Erprobung des teilautonomen Fahrens und der automatisierten Abläufe im Echtbetrieb eines Terminals. Im Fall von Dornstadt kommt eine hohe Taktung hinzu, was die Sache zusätzlich anspruchsvoll macht. Das KV-Terminal mit überwiegend maritimen Verkehren arbeitet bereits am Anschlag, sodass die nächste Ausbaustufe mit einer Verdopplung der Kapazitäten bereits geplant ist und 2026/2027 in Betrieb gehen soll. Ebenfalls eine Besonderheit ist, dass der Lkw zu einem Teil auf öffentlichen Straßen unterwegs sein wird – wenn es auch nur ein paar Hundert Meter Wegstrecke zwischen dem Leercontainerdepot und dem KV-Terminal sind.
Das Ende Mai 2021 vom Bundesrat beschlossene Gesetz zum autonomen Fahren in Deutschland gibt den Projektpartnern dafür die rechtliche Basis. Automatisierte Systeme dürfen unter bestimmten Voraussetzungen bei festgelegten Einsatzszenarien das Kommando übernehmen, ein Beispiel sind Hub-to-Hub-Verkehre in der Logistik, also Fahrten zwischen zwei Depots.
Ein Jahr nach Ankündigung des Projekts erfolgte im Juli 2021 schließlich der offizielle Startschuss. Für Duss-Geschäftsführer Andreas Schulz ist das Projekt ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum automatisierten Terminal 4.0. „Wir leisten als DB-Gruppe mit unseren Partnern hier gerne Pionierarbeit“, sagte er. Auch die Portalkräne im Terminal sollen in absehbarer Zeit ferngesteuert werden, sodass kein Mitarbeiter mehr einsam auf zwölf Meter Höhe sitzen muss, sondern diese Prozesse vom Leitstand aus steuern kann. Aktuell sind drei Portalkräne in Dornstadt in Betrieb, rund 700 Container wechseln in dem Güterbahnhof täglich von der Straße auf die Schiene und umgekehrt.
Heinemann: Antwort auf den Fahrermangel
Auch Michael Heinemann, Geschäftsführer von DB Intermodal Services, sieht Anita als wichtigen Baustein auf dem Weg zur Automatisierung und einer höheren Effizienz. Sein Unternehmen steuert die Logistik der Container, stellt Kunden die nötigen Flächen zur Lagerung der Boxen zur Verfügung und liefert die Container den Kunden auch an. Der Südwesten Deutschlands ist sehr stark exportorientiert, entsprechend hoch ist der Bedarf an Leercontainern. 500 bis 600 Containerbewegungen verzeichnet das Depot in Dornstadt am Tag, was eine hohe Zahl an Umfuhren zwischen dem Depot und dem Güterbahnhof zur Folge hat. An diesen Umfuhren wird sich später auch der automatisierte Truck beteiligen. „Ein weiterer Aspekt ist der Fahrermangel“, skizzierte Heinemann. Angesichts von rund 50.000 fehlenden Fahrern sei das Projekt Anita auch eine Antwort darauf – und bei entsprechendem Erfolg auch eine Blaupause für die anderen Containerstandorte von DB Intermodal Services. Dort könnten automatisierte Lkw dann möglicherweise auch längere Strecken zwischen Depot und Terminal überwinden. Denn nicht immer liegen beide Standorte so nah beieinander wie in Dornstadt.
„Wir können mit der Automatisierung dem Fahrermangel entgegenwirken und gleichzeitig den Gütertransport sicherer und effizienter machen“, erläuterte MAN-Projektleiter Ulrich Bidlingmaier. Was die Effizienz angeht, könnte ein autonomes Fahrzeug theoretisch rund um die Uhr im Einsatz sein. Und auch wenn in Stufe 3 ein Fahrer zur Sicherheit mit an Bord sein muss, sind die zeitlichen Vorteile beträchtlich.
Jeweils mehrere Minuten pro Containerumfuhr sind eingespart, wenn der Fahrer sich weder im Containerdepot noch am Terminal mehr anmelden und am Schalter seine Papiere vorzeigen muss. Ein Zeitvorteil von einigen weiteren Minuten ergibt sich, wenn das Öffnen und Schließen der Twistlocks, also das Ver- und Entriegeln der Container am Chassis, automatisiert wird. Auch das ist im Zuge von Anita geplant. Am Containerdepot soll die Kommunikation mit dem Reach Stacker digital erfolgen und am im KV-Terminal auch das Zuweisen eines Rasterplatzes an der betreffenden Kranbahn. Der Truck bekommt alle Informationen automatisch, die sich der Fahrer sonst erst am Schalter holen und hier je nach Stoßzeit noch Wartezeiten in Kauf nehme müsste.
MAN baut neues Fahrzeug für Projekt auf
Der Fahrzeugbauer will beim Projekt Anita natürlich auch nicht alt aussehen. So fuhr zur Präsentation im Juli 2021 zwar noch ein TGX alter Baureihe vor, der zuvor bereits beim Automatisierungsprojekt mit der HHLA in Hamburg in der Erprobung war. Doch baut der Hersteller seitdem eine Zugmaschine der neuen TG-Baureihe auf und rüstet sie für den Projekteinsatz mit der erforderlichen Sensortechnik aus. Peter Strauß, Entwicklungsingenieur bei MAN, zeigte anhand des altgedienten TGX die Vielzahl an verbauten Sensoren – Lidar, Kameras und Radar –, die dem Truck ein Erkennen der Umgebung und ein sicheres selbstständiges Fahren und Manövrieren ermöglichen.
Dabei orientiert sich das Fahrzeug zentimetergenau auch mithilfe des digitalen Kartenmaterials in Dornstadt. Spätestens Mitte 2022, wenn das neue MAN-Flaggschiff zu seinem automatisierten Einsatz startet, werden alle Projektbeteiligten noch größere Augen machen. Und dann geht's in die wirklich heiße Projektphase.