Autonomes Fahren: MAN startet Projekt Anita

20. Juli 2021 Newsletter / Management & Organisation
Im KV-Terminal Dornstadt/Ulm Projekt Anita testen verschiedene Partner Anwendungen zur Automatisierung im Realbetrieb. Die Protagonisten, das sind die Deutsche Umschlaggesellschaft Schiene–Straße (Duss) als Betreiberin der Flächen und des KV-Terminals in Dornstadt, der Fahrzeugbauer MAN, die Hochschule Fresenius als wissenschaftlicher Partner und der Automatisierungsspezialist Götting. Zusammen wollen sie bis zum Projektende im September 2023 Erkenntnisse darüber sammeln, wie sich einerseits die Prozesse im Terminalbetrieb weiter digitalisieren lassen und andererseits ein autonomer Lkw die Umfuhren zwischen dem Leercontainerdepot und dem KV-Terminal übernehmen kann.
Digitales Abbilden der Prozesse im Terminal
Beide Punkte bedingen sich gegenseitig: Das digitale Abbilden der zurzeit noch vielen analogen Schritte ist die Voraussetzung für Schritt zwei, den Einsatz des automatisierten Lkw. Er könnte – wie es die Pläne vorsehen – nach Stufe 3 des automatisierten Fahrens ziemlich autark agieren. In dieser Stufe ist jedoch noch Sicherheitsfahrer an Bord vorgesehen, der bei möglichen Gefahren eingreifen kann. In der zweiten Hälfte nächsten Jahres soll der Truck seinen Dienst aufnehmen. Wie viele Fahrten er absolviert, lässt sich aktuell noch nicht absehen.
Eine der Besonderheiten ist die Erprobung des teilautonomen Fahrens und der automatisierten Abläufe im Echtbetrieb eines Terminals. Im Fall von Dornstadt kommt eine hohe Taktung hinzu, was die Sache zusätzlich anspruchsvoll macht. Das KV-Terminal mit überwiegend maritimen Verkehren arbeitet bereits am Anschlag, sodass die nächste Ausbaustufe mit einer Verdopplung der Kapazitäten bereits geplant ist und 2026/2027 in Betrieb gehen soll. Ebenfalls eine Besonderheit ist, dass der Lkw zu einem Teil auf öffentlichen Straßen unterwegs sein wird – wenn es auch nur ein paar Hundert Meter Wegstrecke zwischen dem Leercontainerdepot und dem KV-Terminal sind.
Das Ende Mai vom Bundesrat beschlossene Gesetz zum autonomen Fahren in Deutschland gibt den Projektpartnern dafür die rechtliche Basis. Automatisierte Systeme dürfen unter bestimmten Voraussetzungen bei festgelegten Einsatzszenarien das Kommando übernehmen, ein Beispiel sind Hub-to-Hub-Verkehre in der Logistik, also Fahrten zwischen zwei Depots.
Ein Jahr nach Ankündigung des Projekts erfolgte am Montag nun der offizielle Startschuss. Für Duss-Geschäftsführer Andreas Schulz ist das Projekt ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum automatisierten Terminal 4.0. „Wir leisten als DB-Gruppe mit unseren Partnern hier gerne Pionierarbeit“, sagte er. Auch die Portalkräne im Terminal sollen in absehbarer Zeit ferngesteuert werden müssen, sodass kein Mitarbeiter mehr einsam auf zwölf Meter Höhe mehr sitzen muss, sondern diese Prozesse vom Leitstand aus steuern kann. Aktuell sind drei Portalkräne in Dornstadt in Betrieb, rund 700 Container wechseln in dem Güterbahnhof täglich von der Straße auf die Schiene und umgekehrt.
Heinemann: Antwort auf den Fahrermangel
Auch Michael Heinemann, Geschäftsführer von DB Intermodal Services, sieht Anita als wichtigen Baustein auf dem Weg zur Automatisierung und einer höheren Effizienz. Sein Unternehmen steuert die Logistik der Container, stellt Kunden die nötigen Flächen zur Lagerung der Boxen zur Verfügung und liefert die Container den Kunden auch an. Der Südwesten Deutschlands ist sehr stark exportorientiert, entsprechend hoch ist der Bedarf an Leercontainern. 500 bis 600 Containerbewegungen verzeichnet das Depot in Dornstadt am Tag, was eine hohe Zahl an Umfuhren zwischen dem Depot und dem Güterbahnhof zur Folge hat. An diesen Umfuhren wird sich später auch der automatisierte Truck beteiligen. „Ein weiterer Aspekt ist der Fahrermangel“, skizzierte Heinemann. Angesichts von rund 50.000 fehlenden Fahrern sei das Projekt Anita auch eine Antwort darauf – und bei entsprechendem Erfolg auch eine Blaupause für die anderen Containerstandorte von DB Intermodal Services. Dort könnten automatisierte Lkw dann möglicherweise auch längere Strecken zwischen Depot und Terminal überwinden. Denn nicht immer liegen beide Standorte so nah beieinander wie in Dornstadt.
„Wir können mit der Automatisierung dem Fahrermangel entgegenwirken und gleichzeitig den Gütertransport sicherer und effizienter machen“, erläuterte MAN-Projektleiter Ulrich Bidlingmaier. Was die Effizienz angeht, könnte ein autonomes Fahrzeug theoretisch rund um die Uhr im Einsatz sein. Und auch wenn in Stufe 3 ein Fahrer zur Sicherheit mit an Bord sein muss, sind die zeitlichen Vorteile beträchtlich.
Um sie auszuspielen, muss die Hochschule Fresenius in den nächsten Monaten aber erst einmal Vorarbeiten leisten und die analogen Abläufe digitalisieren sowie die Schnittstellen anbinden. Bei der Programmierarbeit hat das Team von Prof. Dr. Christian Haas, Leiter des Instituts für komplexe Systemforschung an der Hochschule Fresenius, eine Vielzahl an Akteuren zu berücksichtigen: Duss, DB Intermodal Services und die Agenturen vor Ort haben unterschiedliche IT-Systeme. „Hier haben wir noch viel Abstimmungsarbeit“, erläuterte Haas.
Jeweils mehrere Minuten pro Containerumfuhr sind eingespart, wenn der Fahrer sich weder im Containerdepot noch am Terminal mehr anmelden und am Schalter seine Papiere vorzeigen muss. Ein Zeitvorteil von einigen weiteren Minuten ergibt sich, wenn das Öffnen und Schließen der Twistlocks, also das Ver- und Entriegeln der Container am Chassis, automatisiert wird. Auch das ist im Zuge von Anita geplant. Am Containerdepot soll die Kommunikation mit dem Reach Stacker digital erfolgen und am im KV-Terminal auch das Zuweisen eines Rasterplatzes an der betreffenden Kranbahn. Der Truck bekommt alle Informationen automatisch, die sich der Fahrer sonst erst am Schalter holen und hier je nach Stoßzeit noch Wartezeiten in Kauf nehme müsste.
MAN baut neues Fahrzeug für Projekt auf
Der Fahrzeugbauer will beim Projekt Anita natürlich auch nicht alt aussehen. So fuhr zur Präsentation zwar ein TGX alter Baureihe vor, der zuvor bereits beim Automatisierungsprojekt mit der HHLA in Hamburg in der Erprobung war. Doch baut der Hersteller zurzeit eine Zugmaschine der neuen TG-Baureihe auf und rüstet sie für den Projekteinsatz im nächsten Jahr mit der erforderlichen Sensortechnik aus. Peter Strauß, Entwicklungsingenieur bei MAN, zeigte anhand des altgedienten TGX die Vielzahl an verbauten Sensoren – Lidar, Kameras und Radar – die dem Truck ein Erkennen der Umgebung und ein sicheres selbstständiges Fahren und Manövrieren ermöglichen. Dabei orientiert sich das Fahrzeug zentimetergenau auch mithilfe des digitalen Kartenmaterials in Dornstadt. In spätestens einem Jahr also, wenn das neue MAN-Flaggschiff zu seinem automatisierten Einsatz starten, werden alle Projektbeteiligten noch größere Augen machen. Die Duss baut – frei nach Costa Cordalis – für das Fahrzeug ein Nest, wo sich’s leben lässt. Anita!