Brexit: Drastischer Fahrermangel bedroht Wirtschaft

07. Juli 2021 Newsletter / Transport & Verkehr
In Großbritannien fehlen nach dem Brexit viele Fahrer. Das könnte zu leeren Lebensmittelregalen führen. Etwa 100.000 Stellen sind schätzungsweise nicht besetzt und die Löhne steigen rasant.
„Der Fahrermangel hat inzwischen, wie lange vorhergesagt, katastrophale Ausmaße angenommen“, stellt Richard Burnett fest. Der Chef des britischen Straßentransportverbands Road Haulage Association (RHA) hatte gemeinsam mit anderen Wirtschaftsvertretern einen Brandbrief an Premierminister Boris Johnson geschrieben und einen 12-Punkte-Plan dazugelegt, um die Lage in den Griff zu bekommen. Die Zahl der offenen Stellen schätzt Burnett inzwischen auf 100.000, passiert ist aber bislang kaum etwas.
Gestiegene Nachfrage verschlimmert die Lage
Der derzeitige Aufschwung in der Wirtschaft, die gestiegene Nachfrage über alle Lieferketten hinweg und die weitgehende Öffnung von Geschäften und Restaurants im Zuge der Aufhebung von COVID-19-Maßnahmen machten die prekäre Lage nur noch schlimmer, betont Burnett. Fahrer aus Osteuropa, die die Insel nach dem Brexit verlassen mussten, sollten deshalb dringend zurückgeholt werden, lautet eine der Forderungen. Dies könne mithilfe spezieller Visa gelingen, wie es sie auch für Mitarbeiter in der Landwirtschaft gebe.
Urlaubssperre und längere Fahrerarbeitszeiten
Nachgedacht werden müsse auch über eine vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeiten für Fahrer und eine Urlaubssperre, heißt es weiter. Gefordert werden zudem längerfristige Maßnahmen wie die Förderung von Schulungen und Lehrstellen. Aber RHA spricht von einer „generellen Feindseligkeit der Behörden und der Regierung“, die nicht hilfreich sei, um neue Fahrer zu rekrutieren oder vorhandene zu halten. Die Frachtraten hätten zudem ein nicht mehr tragbares Niveau erreicht, das an die Verbraucher weitergegeben werden müsse.
Verschlimmerung im Herbst
Der Verband der Großhandelsunternehmen FWD zeigte sich empört über Verkehrsministerin Baroness Vere, die den Organisationen vorwarf, es werde „blinder Alarm“ geschlagen. „Ist das blinder Alarm, wenn Schulen sich sorgen, schließen zu müssen, weil sie den Kindern keine Mahlzeiten mehr bieten können?“, fragte FWD-Chef James Bielby. Das Schlimmste stehe ohnehin im September noch bevor, wenn Bildungsstätten, Betriebskantinen und Gastgewerbe um eine zunehmend knappe Ressource konkurrierten.
Lkw-Fahrer als Mangelberuf
Ein vorübergehender Verzicht auf die Anforderungen für ärztliche Bescheinigungen und den Befähigungsnachweis für Fahrer könnten helfen, meint der FWD. Außerdem sollten Lkw-Fahrer in die Liste der Mangelberufe aufgenommen werden, damit sie auch im Ausland angeworben werden könnten. „Wir werden der Regierung Tag und Nacht in den Ohren liegen, bis sie uns zuhört“, sagte Bielby. Das werde sie tun, „wenn genug Leute laut genug schreien“. Die gesamte Lebensmittelvertriebskette müsse sich daran beteiligen.
Auch deutsches Unternehmen betroffen
Unterdessen hat der deutsche Süßwarenhersteller Haribo Schwierigkeiten, Gummibärchen und Lakritz in ausreichender Menge in die britischen Verkaufsstellen zu liefern, berichtet „The Grocer“. Damit das Angebot nicht noch knapper werde, seien geplante Sonderangebote zunächst gestrichen worden.
Fahrerlöhne gehen rasant nach oben
Fahrer, die ihren Job derzeit in Großbritannien machen, profitieren von der angespannten Lage: Ihre Löhne gehen rasant nach oben. Die BBC berichtet von großen Supermarktketten, die das Doppelte zahlten, damit Lebensmittel in ihre Geschäfte gelangen, auch kleine Unternehmen zahlten zum Teil 25 Prozent mehr. Schwierig wird es wohl für die Kommunen, die im Lohnkrieg um die Fahrer nicht mithalten können. „Wenn man so viel mehr in anderen Trucks verdienen kann, wer sammelt dann unseren Müll ein?“, fragt die BBC.