Logistikbranche befürchtet Zollchaos bei hartem Brexit
Zehn Wochen vor dem geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU ist nach der Ablehnung des ausgehandelten Vertrags im britischen Parlament ein chaotischer Brexit wahrscheinlicher geworden. Für die Logistikbranche ist damit weiterhin ungewiss, ob das Land Ende März wie ein Drittstaat mit allen entsprechenden Zollformalitäten behandelt werden muss. Die Reaktionen reichen von Zuversicht bis zu Entsetzen.
Enttäuscht zeigte sich der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV), der die Chance für einen verlässlichen Rechtsrahmen vertan sieht. Aber auch ohne Vertrag würden deutsche Spediteure die Lieferketten im Verkehr von und mit Großbritannien aufrechterhalten und zuverlässig organisieren können, so die optimistische Einschätzung von DSLV-Präsident Axel Plaß. „Eine hohe Zollexpertise ist in den Speditionshäusern grundsätzlich vorhanden, denn Drittlandverkehre gehören zum alltäglichen Geschäft des Spediteurs“, fügte er hinzu.
Die Unsicherheit erschwere allerdings die Planung in den Unternehmen, gab Plaß zu bedenken. Bei einem ,No Deal' komme es darauf an, dass die britischen Verkehrs- und Zollbehörden mit Behörden und Wirtschaft in der EU zügig, unbürokratisch und verbindlich kommunizierten und Verfahren zum störungsfreien Ablauf internationaler Verkehre gegenseitig akzeptierten. „Ein Abfertigungs-Chaos muss im Interesse aller Beteiligten verhindert werden“, betonte er. Diese Ansicht teilt der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). „Wir appellieren an die Politik, eine praktikable Lösung zu finden“, sagte Hauptgeschäftsführer Prof. Dirk Engelhardt.
VVWL: Großbritannien muss den Austritt stoppen
Der Verband Verkehrswirtschaft und Logistik NRW (VVWL) sieht das Votum dramatischer, weil tiefgreifende Konsequenzen kurzfristig nicht mehr abgemildert werden könnten, unterstrich Hauptgeschäftsführer Christoph Kösters. Er warnte vor gewaltigen Staus und immensen Zeitverlusten, denn es gebe die Zollhöfe der 80er Jahre nicht mehr, Aufstellflächen seien schon lange umgewidmet und zugebaut. Darüber hinaus benötigten deutsche Lkw-Fahrer bei einem harten Brexit ein Visum für Großbritannien. „Alleine der damit verbundene Aufwand kann den Straßengüterverkehr für Wochen zum Erliegen bringen“, warnte er.
Die Bedenken von Kösters reichen aber noch weiter. „Eine auch nur vorübergehende Unterbrechung der Versorgung der Insel durch den Straßengüterverkehr hat das Potenzial, das Land in eine tiefe Rezession zu stürzen und eine weltweite Wirtschaftskrise auszulösen“, schätzt er die Lage ein. „Soll es nicht zu einem vollständigen Chaos im grenzüberschreitenden Warenhandel kommen, muss Großbritannien in den kommenden Wochen die Notbremse ziehen und das gesamte Austrittsvorhaben stoppen", sagte er.
Britische Regierung mit hilflosen Vorbereitungen
Auch bei Kühne + Nagel International warnt Vorstandsvorsitzender Detlef Trefzger vor den massiven Einschränkungen des Warenverkehrs bei einem ungeordneten Brexit. London und Brüssel müssten dies unbedingt vermeiden. Sein Unternehmen habe aber in den vergangenen zwei Jahren alle Optionen geprüft, um Ausweichkapazitäten sowohl auf dem See- als auch auf dem Luftweg zu sichern und auch begonnen, zusätzliches Personal für die Zollformalitäten einzustellen. Außerdem werde man sich an einer Lenkungsgruppe der britischen Regierung beteiligen.
Deren Vorsorgemaßnahmen für einen harten Brexit wirken bislang eher hilflos. So wurden Fähren gebucht, die die Versorgung des Landes über Häfen in Südengland sichern sollen, wenn der Lkw-Verkehr zwischen Calais und Dover mit täglich rund 10.000 Fahrzeugen wegen Grenzkontrollen ins Stocken geraten sollte. An einem Test, der die Verspätungen infolge von Zollformalitäten im Hafen von Dover simulieren sollte, waren lediglich 89 von der Regierung gemietete Lkw beteiligt. Er wurde von der Branche als ungenau und als Zeitverschwendung abgetan.
Notfallplan der EU
Zum Aktionsplan der EU bei einem ungeordneten Brexit gehören auch Maßnahmen für die Transportbranche. So soll britischen Unternehmen gewährt werden, ab 30. März für neun Monate weiter Waren in die EU zu bringen, vorausgesetzt, eine gleichwertige Erlaubnis gilt auch umgekehrt für EU-Betriebe in Großbritannien. Wesentlich sind außerdem faire Wettbewerbsbedingungen.
Bei einem „No deal“-Szenario gelten für Waren, die zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich befördert werden, alle einschlägigen EU-Rechtsvorschriften über die Warenein- und -ausfuhr. Deshalb wurde unter anderem beschlossen, die Gewässer um das Vereinigte Königreich in die Bestimmungen über Fristen, innerhalb derer summarische Eingangs- und Vorabanmeldungen in das Zollgebiet der Union abzugeben sind, einzubeziehen.