Ungeordneter Brexit hat Konsequenzen für die Logistik
Ende Oktober droht der ungeordnete Brexit – mit weitreichenden Folgen für die Logistik. „Ohne Wenn und Aber“ will Großbritanniens Premierminister Boris Johnson sein Land zum 31. Oktober aus der EU führen. Doch selbst im Falle eines harten Brexits kommt der Warenfluss natürlich nicht zum Erliegen. „Eine hohe Zollexpertise ist in den Speditionshäusern grundsätzlich vorhanden, denn Drittlandverkehre gehören zum alltäglichen Geschäft des Spediteurs“, erklärt Axel Plaß, Präsident des Bundesverbands Spedition und Logistik (DSLV).
Chaos muss verhindert werden
Nun komme es darauf an, dass die britischen Verkehrs- und Zollbehörden trotz des zu erwartenden No-Deals mit den Behörden und der Wirtschaft in den übrigen EU-Mitgliedstaaten zügig, unbürokratisch und verbindlich kommunizierten und Verfahren zum störungsfreien Ablauf internationaler Verkehre gegenseitig akzeptiert würden. „Ein Abfertigungschaos muss im Interesse aller Beteiligten verhindert werden“, sagt Plaß.
Immerhin bläst den Konservativen innerhalb des Vereinigten Königreichs ein herber Wind entgegen. So diskutieren die Schotten bereits über ein zweites Referendum zur Unabhängigkeit. Selbst in Wales, wo die Menschen mit rund 52,5 Prozent knapp für den Brexit gestimmt hatten, kippt die Stimmung. Rückhalt für seinen kompromisslosen No-Deal-Brexit bekommt Johnson lediglich in England, dem größten und bevölkerungsreichsten Teil Großbritanniens.
Backstop als Spielball
Denn in Irland ist die Wieder¬vereinigung mit Nordirland im Gespräch. Und genau hier liegt sprichwörtlich der Hase im ¬Pfeffer. Nach wie vor dreht sich die Diskussion vor allem um den sogenannten Backstop. Hintergrund: Nach dem Brexit gehört Irland weiterhin zur EU – Nordirland aber nicht mehr. Der Backstop soll eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindern. Ein Konstrukt, das Johnsons Amtsvorgängerin Theresa May ausgehandelt hat, das der jetzige Premier allerdings ablehnt.
Ansonsten verliefe auf der irischen Insel eine Außengrenze der Europäischen Union. Theoretisch müssten dann also Grenzbeamte den Warenfluss kontrollieren. In Anbetracht der Historie Irlands ein heikles Unterfangen. Zudem wäre dank des Backstops für die EU hier der freie Warenverkehr gesichert. Gerade für die Logistik ist das ein wichtiger Punkt.
Entscheidend für die Branche ist aber natürlich, was passiert, wenn am Ende der Übergangsphase keine Einigung inklusive Handelsabkommen steht. Ist dies der Fall, bleibt Großbritannien in der Zollunion der Europäischen Union – und Nordirland ist, wie beschrieben, ein Teil des europä¬ischen Binnenmarkts.
EORI-Nummer benötigt
Ein harter Brexit, sollte er ¬eintreten, wäre für die Logistik also nicht ohne Folgen. In der EU ansässige Versender müssen dann für ihre Transporte zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über eine sogenannte EORI-Nummer verfügen. Sie dient der Identifizierung von Wirtschaftsbeteiligten und soll eine automatisierte Zollabfertigung erleichtern. Die dann fälligen Kontrollen lassen sich damit aber nicht ¬abwenden.
Bereits vor dem ursprünglichen Brexit am 29. März hatte sich die britische Freight Transport ¬Association (FTA) für vorübergehende Erleichterungen und Notfallmaßnahmen eingesetzt, die der Branche dabei helfen sollten, „unsere Handelsbeziehungen offen zu halten. Viele von ihnen laufen jedoch aus oder werden kurz nach Ablauf der neuen Brexit--Frist für den 31. Oktober auslaufen“, warnt der ¬Logistikverband deshalb aktuell. Der Exit vom Brexit wäre daher wohl auch hier willkommen. Doch den gibt es nur, wenn Johnson den EU-Austritt nach Artikel 50 zurückziehen sollte – oder aber, wenn das britische Parlament den Premierminister nicht nur abwählt, sondern auch gleich einen neuen Interimsregierungschef bestimmt.
Vorbereitungen laufen
Ebendiese von DSLV-Chef Plaß angeführte Zollexpertise braucht es im Falle eines No-Deal-Brexits verstärkt. Das ist der Grund, warum der Logistikkonzern DSV derzeit massiv Zollexperten einstellt. Bis zu 100 zusätzliche Spezialisten sollen es werden, um den drohenden Engpass abzuwenden. Im Falle einer harten Zollgrenze befürchtet DSV-Geschäftsführer Jens-Bjørn Andersen dennoch Ab¬striche bei „Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit“.