Daimler Trucks: nächste Stufe beim automatisierten Fahren
Daimler Trucks arbeitet weiter an der Erprobung des automatisierten Fahrens. Nachdem die Trucksparte vor einem Jahr begonnen hatte, im US-Bundesstaat Virginia automatisierte Lkw-Prototypen der Stufe 4 auf öffentlichen Straßen zu testen, weitet sie die Testaktivitäten nun auf New Mexico aus.
Hier sollen später auch die ersten kommerziellen Anwendungen starten. Statt im hügeligen und dichter besiedelten Virginia will Daimler damit Erfahrungen unter den tatsächlichen Bedingungen im Wüstenumfeld des Ziel-Bundesstaats sammeln, wo die Systeme kaum eine Brücke oder ein Haus als Orientierungspunkt haben.
Ortung der Lkw auf den Zentimeter genau
„Unsere Systeme müssen dann auf den Zentimeter genau erkennen, wo sich unsere Trucks befinden“, erläutert Dr. Peter Vaughan Schmidt, Leiter der Autonomous Technology Group bei Daimler Trucks, im Gespräch mit den Fachzeitschriften lastauto omnibus und trans aktuell. Schmidts Bereich war im Juni vorigen Jahres an den Start gegangen, bündelt alle globalen Aktivitäten rund ums automatisierte Fahren bei Lkw und betreibt Standorte in Portland (Oregon), Blacksburg (Virginia) und Stuttgart.
Kooperation mit Torc Robotics trägt Früchte
Herzstück der Systeme ist das Software-Tool „Asimov“ des US-Unternehmens Torc Robotics. Daimler Trucks hat im März 2019 seinen Einstieg als Mehrheitseigner bei dem Start-up Torc Robotics verkündet. Durch Kombination der Technologien von Daimler Trucks und Torc habe man die Expertise im hochautomatisierten Fahren auf ein neues Niveau gehoben, bilanziert Schmidt – wenngleich die Organisation des Ganzen über drei Teams und drei Zeitzonen hinweg zwar ein wenig anspruchsvoll sei, jedoch hervorragend funktioniere und klare Mehrwerte aufgrund der jeweiligen inhaltlichen Schwerpunkte biete.
Keine Budgetkürzungen beim automatisierten Fahren
Anspruchsvoll sind auf jeden Fall die Pläne beim hochautomatisierten Fahren insgesamt: Daimler Trucks will hier voran gehen und hatte voriges Jahr angekündigt, in den nächsten Jahren mehr als 500 Millionen Euro in die Entwicklung entsprechender Fahrzeuge zu stecken. Das Ziel: sie bis Ende des Jahrzehnts zur Marktreife zu bringen. An diesem Plan hat sich durch Corona nichts geändert. „Das Budget steht weiterhin zur Verfügung, die Projekte werden mit Hochdruck vorangetrieben“, sagt Schmidt, der zuvor die Strategieabteilung bei Daimler Trucks geleitet hatte. Für seine in Deutschland angesiedelten Mitarbeiter ist auch die coronabedingte Kurzarbeit bereits seit Längerem zu Ende.
Mit dem Future Truck 2025 fing alles an
Mit dem Konzeptfahrzeug Mercedes-Benz Future Truck 2025 hatte Daimler das Kapitel automatisiertes Fahren 2014 medienwirksam in Deutschland aufgeschlagen. Fortgeschrieben wird diese Geschichte nun aber bewusst erst einmal in den USA. Dort finden die Daimler-Truck Leute nach eigener Darstellung bessere Bedingungen zur Erprobung der Systeme vor als hierzulande. Strecken über viele hundert Meilen seien in nur einem oder wenigen Bundesstaaten darstellbar, in der Regel auf breiteren Fahrbahnen, mit weniger Verkehr und weniger Differenzgeschwindigkeiten, etwa durch schnellere Pkw. „Wenn wir in den USA am Ziel sind, ist das Ganze vergleichsweise problemlos skalierbar und auf andere Märkte übertragbar“, sagt Schmidt auf die Frage, wann Lkw ohne Fahrer am Steuer in Deutschland unterwegs sein werden.
Lkw-Bewegungen ohne Fahrer beziehungsweise mit Fahrer in der Rolle als Passagier sind seiner Einschätzung nach auch für hiesige Flottenbetreiber interessant und könnten die Logistikprozesse auch in Europa stark verändern. Prädestiniert für einen späteren Praxisbetrieb mit Kunden sind nach Daimler-Truck Einschätzung Hub-to-Hub-Verkehre über große Distanzen, bei denen die Hubs in Highway-Nähe liegen. Daimler Trucks steht hier nach eigenen Angaben mit zahlreichen Kunden im Gespräch, um gemeinsam neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und den Nutzen von automatisierten Lkw zu eruieren. „Wir machen das nicht im stillen Kämmerlein“, betont Bereichsleiter Schmidt.
Freightliner-Testflotte der Baureihe Cascadia
Seinen Leuten und ihm steht in den USA eine eigene Testflotte an Fernverkehrs-Lkw für Erprobungen zur Verfügung. Die Freightliner-Hauber der Baureihe Cascadia sind mit redundanten Systemen ausgestattet, die auf der mechanischen Seite die Aufgaben des Fahrers übernehmen, und mit einer Vielzahl an Sensoren ausgerüstet sind. Wie groß diese Flotte ist und wie viele Kilometer sie schon absolviert hat, verrät Daimler-Mann Schmidt nicht. Es gehe nicht darum, möglichst viele Kilometer zu fahren, sondern bewusst Fahrszenarien zu identifizieren, die noch weiterentwickelt werden. Situationen, an denen er und sein Team intensiv arbeiten, sieht er etwa in Zusammenhang mit Spurwechseln oder Auf- und Ausfahrten.
Bei den Tests sind zwei Mann an Bord
Bei den Tests sind bisher ein Entwicklungsingenieur r und ein von Daimler Trucks und Torc Robotics zertifizierter und speziell geschulter Sicherheitsfahrer an Bord. Generell aber sind bei Stufe 4 (SAE Level 4) des automatisierten Fahrens keine Eingriffe des Fahrers in den hierfür definierten Situationen vorgesehen. Damit ergeben sich für Daimler als auch für Logistikunternehmen neue Einsatzmöglichkeiten. Daimler-Mann Peter Vaughan Schmidt sieht vor allem positive Effekte bei der Verkehrssicherheit, aber auch wirtschaftliche Vorteile.