Dr. Kay Lindemann im Interview: "Beim Lang-Lkw erfolgt ein Umdenken"
Dr. Kay Lindemann, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA), erklärt im Interview mit trans aktuell die Vorteile der veränderten Vorschriften für Maße und Gewichte beim Lkw. Dass auch Baden-Württemberg beim Feldversuch teilnimmt, begrüßt der VDA ausdrücklich.
trans aktuell: Herr Dr. Lindemann, verlängerter Sattelauflieger oder 25-Meter-Kombination – welches ist der bessere Lang-Lkw?
Lindemann: Der VDA hat sich immer für das modulare Konzept eingesetzt. Der Charme daran ist, dass wir auf Standardmaßen aufbauen, wir also bestehende Einheiten kombinieren können. Trotzdem ist der verlängerte Sattelauflieger Teil der VDA-Vorschläge zum Feldversuch mit Lang-Lkw. Nicht ohne Grund hat das Bundesverkehrsministerium den verlängerten Auflieger als eine mögliche Variante in den Versuch aufgenommen. Damit hat jeder Transportunternehmer Wahlfreiheit.
Dann sind Sie auch froh darüber, dass Nordrhein-Westfalen nun am Feldversuch teilnimmt – auch wenn sich die Teilnahme nur auf den verlängerten Sattelauflieger beschränkt?
Noch mehr freuen wir uns darüber, dass nun auch Baden-Württemberg den Antrag stellen will, mit Autobahnabschnitten auf der A5, der A8 und der A81 am Feldversuch teilzunehmen. Das ist ein ganz wichtiges Signal und zeigt, dass beim Lang-Lkw ein Umdenken erfolgt.
Zu Nordrhein-Westfalen: Auch hier, im bevölkerungsreichsten Bundesland, werden die Ampeln offenbar Zug um Zug auf Grün gestellt. Wir begrüßen das. Die Argumente, die für den Lang-Lkw und den Feldversuch sprechen, sind überzeugend. Wir beobachten, dass sich die anfangs emotional geführte Diskussion versachlicht hat und nun Raum für die Fakten ist – und die sprechen für den Lang-Lkw.
Was Maße und Gewichte angeht, tut sich aktuell auch auf europäischer Ebene viel. Wie bewerten Sie die Zustimmung des EU-Parlaments zum Vorstoß der Kommission?
Der VDA begrüßt die Änderungen der Vorschriften für Maße und Gewichte. Zugmaschinen und Anhänger können künftig vor allem in aerodynamischer Hinsicht weiter optimiert werden. Damit werden substanzielle Einsparungen beim Kraftstoffverbrauch möglich. Auch erlaubt die EU-Kommission bei Nutzfahrzeugen mit alternativen Antrieben ein höheres Gesamtgewicht. Mit dieser Öffnung beim Thema Maße und Gewichte zeigt die Behörde, dass sich Effizienzfragen nicht nur auf Motor und Antriebsstrang beschränken können. Nur in einem integrierten Ansatz, der vom Fahrerhaus bis zum Heck reicht, können alle Potenziale gehoben werden. Das ist absolut im Sinne der Fahrzeugindustrie.
Wie sieht der Lkw der Zukunft aufgrund der neuen Möglichkeiten denn konkret aus?
Hier ist noch Detailarbeit zu leisten, die genaue Ausgestaltung in den technischen Regelwerken steht noch aus, etwa bei den Flaps am Fahrzeugheck. Diese Fragen werden aber in den nächsten Jahren geklärt und in die jeweiligen Typprüfungsvorschriften aufgenommen. Die Hersteller und Verbände sind dabei eng eingebunden.
Was bringt die Fokussierung auf die Aerodynamik konkret? Sprich: Welches Potenzial sehen Sie beim Reduzieren des Verbrauchs und Eindämmen der CO2-Emissionen?
Durch Maßnahmen für eine höhere Effizienz versprechen wir uns eine weitere spürbare Reduktion des Kraftstoffverbrauchs. Das Potenzial ergibt sich insbesondere durch Bausteine wie Aerodynamik, Reifen und Assistenzsysteme. Wir reden hier also ausschließlich von Maßnahmen außerhalb des Motors. Stand in den vergangenen 20 Jahren vor allem der Antriebsstrang im Fokus aller Verbesserungen, wird sich der Blick nun weiten. Hinzu kommt, dass die Potenziale zur Effizienzsteigerung beim Motor nahezu ausgereizt sind.
Apropos Assistenzsysteme – durch das Zusammenspiel der Systeme ist autonomes Fahren technisch ja schon möglich. Doch wann wird es auch rechtlich und gesetzlich möglich sein?
Bereits heute haben wir bereits das teilautomatisierte Fahren, da moderne Nutzfahrzeuge mit zahlreichen intelligenten Assistenzsystemen ausgestattet sind. Diese Systeme werden konsequent weiter entwickelt und integriert.
Das hochautomatisierte Fahren wird der nächste Schritt sein, dafür müssen aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Auch hier bleibt der Fahrer vorn und kann eingreifen. Im Rahmen von Testfeldern oder innerhalb von privaten Logistikzentren kann man auch noch einen Schritt weitergehen in Richtung autonomes Fahren. Doch für den öffentlichen Straßenverkehr ist das mittelfristig noch keine Option.
Besonders eindrucksvoll ist die Dynamik bei der Vernetzung der Fahrzeuge – untereinander und mit der Umwelt.
Das wird zu einer erheblichen Veränderung der Logistikwelt führen. Es werden künftig nicht nur deutlich mehr Daten zur Verfügung stehen. Sie werden auch viel schneller als heute zur Verfügung stehen, zum Beispiel bei den Navigationssystemen.
Von den Mautdaten mal abgesehen. Die stehen ja weiter unter Verschluss …
Stimmt. Es ist anachronistisch, dass die Mautdaten wie ein Closed Shop behandelt werden. Man könnte diese Daten für eine Vielzahl an Anwendungen nutzen. Dass der Gesetzgeber sie weiter unter Verschluss hält, passt nicht in die Welt von 2015. Der Begriff „Datenschutz“ löst zu häufig reflexartig Verhaltensstarre aus. Das bremst den Fortschritt. Es ist erforderlich, hier viel differenzierter zu denken. Der VDA ist natürlich dafür, dass personenbezogene Daten auch weiterhin geschützt werden. Das sehen auch unsere Mitgliedsunternehmen so. Aber anonymisierte Güterdaten, die man zum Beispiel für Verkehrs- oder Stauprognosen nutzen kann, sollten freigegeben werden.
Wie geht es beim vernetzten Fahren nun weiter – und welches ist dabei die Rolle des VDA?
Die Vernetzung ist einer der ganz großen Innovationstreiber in der Automobilindustrie. Unsere Unternehmen investieren allein in den kommenden vier Jahen 18 Mrd. Euro in diesem Bereich. Innerhalb des VDA haben wir eine Koordinierungsstelle für vernetztes Fahren eingerichtet. Dort werden die Anliegen unserer Mitglieder gesammelt und koordiniert. In dieser Rolle agieren wir auch als Schnittstelle zum Bundesverkehrsministerium.
Verkehrsminister Dobrindt will vernetztes Fahren auf einem Testfeld auf der A 9 erproben. Es gibt aus Ihrem Mitgliederkreis jedoch Wünsche, auch andere Strecken für Erprobungen zu nutzen. Können Sie die Interessen unter einen Hut bringen?
Wir begrüßen, dass es eine sehr große Aufgeschlossenheit im Bundesverkehrsministerium gibt, hier etwas zu tun. Das ist die Grundvoraussetzung für alle weiteren Überlegungen. Insofern wird man sich, was die Ausgestaltung der Erprobungen angeht, mit Sicherheit aufeinander zubewegen und auch einig werden. Fest steht, dass kein Hersteller von solchen Versuchen faktisch ausgeschlossen sein darf, weil er zum Beispiel seinen Sitz in einem anderen Bundesland hat. Das Ganze muss wettbewerbsneutral sein.