Stuttgart: Dieselverbote betreffen auch Anwohner
Hamburg hat den Anfang gemacht. Jetzt werden weitere deutsche Städte wegen schlechter Luftwerte Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge verhängen müssen, darunter an vorderster Front Stuttgart. Alle Fahrzeuge, die nicht der Euro-6-Norm entsprechen, will das Verwaltungsgericht Stuttgart ab 2019 aus der baden-württembergischen Hauptstadt verbannt sehen, hieß es nach einem Erörterungstermin mit dem Land und der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Betroffen wären auch Anwohner.
Die jüngsten Anstrengungen der grün-schwarzen Landesregierung, die Autobauer doch noch zu Nachrüstungen zu bewegen, sind unterdessen ins Leere gelaufen. Da Euro-6-Lkw von den Fahrverboten nicht betroffen sind, sieht Martin Bulheller, Sprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), die Lage für das Straßentransportgewerbe gelassen: „Mehr als 70 Prozent der mautpflichtigen Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen sind mit Euro 6 unterwegs“, sagte er gegenüber der Fachzeitschrift trans aktuell. Hauptsächlich Unternehmen, die nicht auf Autobahnen fahren und bislang keine Maut zahlten, hätten sich bislang nicht für die Abgasnormen interessiert. Schwieriger könne es werden, wenn ganze Innenstädte gesperrt würden. Genau das ist jetzt nicht mehr ausgeschlossen.
In Stuttgart sollen ganze Zonen zum Tabu erklärt werden
Im Hamburger Stadtteil Altona sind lediglich zwei Straßenabschnitte für Diesel-Fahrzeuge bis einschließlich Schadstoffklasse Euro 5 gesperrt, ein 850 Meter langer Teil der Max-Brauer-Alle und ausschließlich für Lkw 1,6 Kilometer der Stresemannstraße. Anwohner sind davon ausgenommen. In Stuttgart dagegen sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden: Ganze Zonen sollen für alle zum Tabu erklärt werden, wenn das Fahrzeug nicht Euro 6 entspricht. Das Gericht hat das Land aufgefordert, bis Mitte Juli einen genauen Plan und einen Termin für die Verbote zu nennen. Bislang hatte die Regierung vorgesehen, ab 2019 lediglich Verbote für Fahrzeuge einschließlich Euro 4 auszusprechen. Aber die Deutsche Umwelthilfe hat einen Antrag auf Zwangsvollstreckung eines entsprechenden Urteils vom Juli 2017 gestellt. Jetzt habe sich das Gericht „über die fortgesetzte Verzögerungstaktik bei der Luftreinhaltung massiv verärgert“ gezeigt, berichtet der Verband aus der nicht-öffentlichen Sitzung am vergangenen Freitag. Das Land sei darauf hingewiesen worden, dass die Behörden für den Schutz der Menschen da seien, nicht für den Schutz der Autofahrer. Es wird offenbar auch erwogen, gegebenenfalls eine Zwangshaft für politische Mandatsträger oder Behördenleiter zu beschließen. Die DUH kündigte außerdem an, künftig auch gegen Euro-6-Fahrzeuge vorgehen. Dabei hatten sich am selben Tag Vertreter von Autoindustrie, Zulieferern und Verbände im Stuttgarter Verkehrsministerium getroffen, um über Nachrüstungen zu sprechen. Das Ergebnis war allerdings ernüchternd. „Kfz-Importeure wollten weiterhin weder bei Software-Updates noch bei der Hardwarenachrüstung mitmachen und die inländischen Hersteller sind bei Nachrüstung nach wie vor sehr zurückhaltend“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Die Idee war gewesen, es wenigstens den Besitzern jüngerer Diesel zu ermöglichen, ihre Fahrzeuge selbst nachzurüsten. Bedarf gebe es insbesondere auch bei Lieferfahrzeugen wie dem Fiat Ducato, sagte er. „Zumindest für die, die bereit sind, auf eigene Kosten nachzurüsten, müssen wir eine Regelung finden, damit das Auto danach weiter eine Betriebserlaubnis hat“, betonte der Sprecher des vom Grünen-Politiker Winfried Hermann geführten Ministeriums vor den Gesprächen. Hier sei das Kraftfahrtbundesamt gefordert, damit diese Fahrzeuge eine Genehmigung bekämen.
Fahrverbote führen zu Ausweichverkehren
Gleichzeitig müsse aus den Fahrzeugpapieren hervorgehen, dass das jeweilige Auto rechtskonform in verkehrsbeschränkte Innenstädte fahre. Die Hersteller waren aber offenbar nicht bereit, den Werkstätten einen Zugang zur Motorsteuerung zu gewähren. Aber mit einer besseren Verkehrsplanung, dem Einsatz von Bussen mit weniger Schadstoffausstoß oder der Elektrifizierung von Taxis ist es in Städten wie Stuttgart, München, Düsseldorf, Hamburg oder Kiel nicht getan, um die Luft ausreichend zu verbessern, weiß man im Ministerium. Hingegen sei eine erfolgreiche Nachrüstung jüngerer Fahrzeuge bei vielen Modellen zu einem überschaubaren Preis möglich. In Hamburg wurde inzwischen überprüft, ob Lkw die Durchfahrtsbeschränkungen einhalten. Bei einer Großkontrolle Ende Juni nahm sich die Polizei insgesamt 50 Fahrzeuge vor, die Hälfte der Fahrer hatte gegen das Verbot verstoßen und muss ein Bußgeld in Höhe von 75 Euro zahlen. Weitere Kontrollen mit unterschiedlichen Schwerpunkten sind angekündigt. Angesichts des boomenden Internethandels wird die Lage besonders für die zahlreichen Lieferfahrzeuge brenzlig.
„Diesel-Fahrverbote für Kurier-, Express- und Paketfahrzeuge würden die Grundversorgung des Handels und der Haushalte durch KEP-Dienste in den Innenstädten lahmlegen“, sagt Elena Marcus-Engelhardt vom Bundesverband Paket & Expresslogistik (BIEK). Vor allem kleine Geschäfte und Gewerbetreibende, aber auch die Endverbraucher seien auf die Belieferung durch KEP-Dienste angewiesen. Fahrverbote führten zu Ausweichverkehren und im schlechtesten Fall zu mehr Verkehr, betont die BIEK-Sprecherin. Die Branche versichert, dass sie eine nachhaltige Stadtlogistik mit Elektro- und Erdgasfahrzeugen oder E-Lastenfahrrädern fördert. „Aber die Umrüstung der Fahrzeugflotten funktioniert nicht von heute auf morgen“, sagt Marcus-Engelhart. Wegen der hohen Anschaffungskosten seien Elektrofahrzeuge nur sehr bedingt wirtschaftlich, und das derzeit am Markt verfügbare Angebot sei noch unzureichend. „Die Politik muss nun die Weichen stellen, um eine sinnvolle Verkehrswende einzuleiten“, fordert sie. Einen wertvollen Beitrag zur Schadstoffreduktion könnten die gezielte Förderung gewerblicher Fahrzeugflotten mit alternativen Antrieben und der dafür benötigten Infrastrukturen sowie die Förderung innovativer Zustellkonzepte leisten.