Freie Fahrt für Energie-Züge

17. Aug. 2022 Newsletter / Transport & Verkehr
Um die Energieversorgung sicherzustellen, sollen Transporte von Kohle, Öl und Gas auf der Schiene Vorfahrt bekommen. Sollte der Plan der Bundesregierung allerdings nicht aufgehen, könnte das auch an der Mineralölwirtschaft liegen.
Die durch den russischen Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise stellt die Logistik vor große Herausforderungen. Da die Gaslieferungen aus Russland durch Pipelines völlig ungewiss sind, müssen vermehrt fossile Energieträger auf anderen Wegen zu ihren Abnehmern kommen. Binnenschiff und Güterbahn sind besonders gefragt. Derzeit diskutierten Verkehrs- und Wirtschaftsministerium in Berlin mit der Transportbranche, ob die Schiene eine erhöhte Nachfrage überhaupt leisten kann.
Keine konkreten Daten zum Transportbedarf
Es gebe bislang keine konkreten Daten zum Transportbedarf, sondern nur erste Schätzungen, sagte Neele Wesseln, stellvertretende Geschäftsführerin des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE). Denkbar sei, dass auf die Schiene ein Anstieg des Kohletransportvolumens von einem Drittel zukommt. Der vieldiskutierte Verordnungsentwurf der Bundesregierung liegt ihrem Verband aber noch nicht vor. „Bis heute wurde uns auch nicht mitgeteilt, warum die Bundesregierung diese Vorrangregelung einführen möchte“, stellte sie fest.
Alle Beteiligten einbinden
„Wir fordern eine Engpassanalyse mit Daten, erst dann können wir darüber sprechen, wie die Lage zu bewältigen ist“, sagte die NEE-Vertreterin. Beispielsweise werde die jetzt benötigte Kohle über Rotterdam importiert und gelangt dann über die Betuwe-Linie in den Süden Deutschlands. Die Strecke ist mit ihren Baustellen ein Sorgenkind der Branche. „Gerade Emmerich – Oberhausen ist ein Engpass. Es muss sich mit allen Beteiligten zusammengesetzt und genau geschaut werden, um welche Mengen es sich handelt, wo es Kapazitäten gibt und welche Nebenstrecken genutzt werden können“, argumentiert Neele Wesseln.
Vorrangregelungen gibt es bereits
Grundsätzlich müssten alle Instrumente zur Beschleunigung von Energietransporten untersucht werden. Es gebe im Schienengüterverkehr bereits für alle Unternehmen die Möglichkeit, Expresstrassen zu buchen, was allerdings etwas teurer sei. „Das könnten die Energieverlader auch tun und hätten so mit ihren Zügen Vorrang“, erläuterte sie. Diese Möglichkeit sei aber bislang gar nicht diskutiert worden. Stattdessen solle offenbar das ganze System auf den Kopf gestellt werden.
Von Transporten profitieren?
Eine Vorrangregelung für Energiezüge würde nämlich nicht nur gegenüber dem Personenverkehr gelten, sondern versetzt auch den übrigen Güterverkehr auf der Schiene in die zweite Reihe. Im Raum steht zudem der Vorwurf, dass sich die Energiekonzerne einen schlanken Fuß machen und vielleicht von kostenlosen Transporten profitieren wollen. Gerade die Mineralölkonzerne aber haben in der Energiekrise so riesige Gewinne eingefahren, dass andere Länder bereits eine Übergewinnsteuer eingeführt haben.
Keine Zusagen von der Mineralölwirtschaft
„Es ist bereits der vierte Sommer hintereinander mit Niedrigwasser auf den freifließenden Flüssen und in drei davon haben die Mineralölwirtschaft und die von ihr alarmierte Politik schon die Frage gestellt, ob die Eisenbahn den großen Transportanteil des Binnenschiffs ersetzen kann“, berichtet die Vertreterin der Güterbahnen. Drei Mal habe es bereits die gleiche Antwort gegeben, nämlich, dass dies auf die Schnelle nicht möglich sei. Niemand wolle zusätzliche teure Ressourcen bereithalten, ohne die sichere Zusage, dass sie auch genutzt würden.
Mineralölwirtschaft schafft keine Waggons an
„Und diese Zusage gab und gibt es nie – die Mineralölwirtschaft bestellt ihre Transporte weit überwiegend nur mit einem Vorlauf von einer Woche“, stellt Neele Wesseln fest. Die Branche lebt offenbar gut mit dem Risiko. Denn die Mineralölwirtschaft selbst halte sich zurück bei der Beschaffung von vielleicht nicht durchgängig ausgelasteten Assets. In aller Regel gehörten ihr nämlich die Güterwagen, die sie auch selbst disponiere. Und gerade diese seien die allerknappste Ressource, wenn das Binnenschiff nicht „liefere“.