Bei Kabotage keinen Mindestlohn nachweisen
Das deutsche Mindestlohngesetz kann nach Einschätzung mehrerer Gerichte offenbar nicht auf ausländische Transportunternehmen angewandt werden.
Nach dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat nun das Landgericht Ansbach einen Beschluss gefasst (Az.1 S 872/17), wonach es sogar bei Kabotageverkehren innerhalb Deutschlands unwirksam ist. Ohne eine Klärung auf europäischer Ebene bleibt die Rechtslage für Unternehmen unsicher, auch Verbände beharren auf ihrer unterschiedlichen Bewertung der Situation.
Im jüngsten Fall hatte ein polnischer Transportunternehmer die von ihm eingeklagte Fracht in Höhe von 650 Euro für einen Transportauftrag vom bayerischen Pleinfeld nach Hagen in NRW vom Gericht zugesprochen bekommen. Der deutsche Auftraggeber hatte ihn zurückgehalten, da der Frachtführer sich weigerte, Nachweise für die Zahlung des deutschen Mindestlohns an seinen Fahrer vorzulegen, obwohl dies vertraglich vereinbart worden war. Schon voriges Jahr hatte das Amtsgericht Weißenburg (Az. 1 C 435/16) hierzu entschieden, "dass das Mindestlohngesetz für den Fall der sogenannten Kabotage wegen eines Verstoßes gegen die europäische Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) unwirksam ist".
Schutzzweck des Mindestlohngesetzes nicht geboten
Der Schutzzweck des Mindestlohngesetzes, gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland zu schaffen und die Erhaltung des Lebensstandards zu ermöglichen, sei im Hinblick auf kurzfristige Tätigkeiten, bei denen Arbeitnehmer ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat behielten, nicht geboten. Der Lebensstandard richte sich nicht nach den Lebenshaltungskosten in Deutschland, sondern nach denen im jeweiligen Heimatland, führte das Gericht aus. Der deutsche Auftraggeber hatte gegen diese Entscheidung vor dem Landgericht Ansbach Berufung eingelegt, diese aber zurückgenommen, nachdem das Gericht einen Hinweis auf ihre Aussichtslosigkeit erteilt hatte. Damit wurde das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig.
"Bemerkenswert an der Entscheidung ist, dass es sich in dem Rechtsstreit um einen reinen Inlandstransport handelt und selbst für diese Transportart der Anwendung des Mindestlohngesetzes eine klare Abfuhr erteilt wurde", stellte Rechtsanwalt Bogumil Kus von der Kanzlei Balduin & Pfnür fest, der das klagende Unternehmen vertreten hatte.
Dieses Urteil sei die nächste Niederlage für die Befürworter eines weiten Anwendungsbereiches des Mindestlohngesetzes. Zuvor hatte bereits das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (Az. 1 V 1175/17) die Mindestlohnkontrolle eines polnischen Transporteurs wegen ernstlicher Zweifel an der europarechtlichen Konformität der Anwendung auf ausländische Transportunternehmen einstweilen gestoppt.
DSLV sieht sich bestätigt
Der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) sieht sich in seiner Rechtsauffassung bestätigt, nach der das deutsche Mindestlohngesetz auf internationale Transporte nicht anwendbar sei. "Brüssel muss nun zügig für eine verbindliche Regelung im europäischen Entsenderecht sorgen", sagt Hauptgeschäftsführer Frank Huster und verweist auf die Entscheidungen der deutschen Gerichte sowie auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofes in Österreich. "Die Richtersprüche machen deutlich, dass nationales Mindestlohnrecht rechtssystematisch nicht auf internationale mobile Dienstleistungen zielen kann", betont Huster.
Der DSLV fordert Regelungen, die die hohen Anforderungen an den Arbeitnehmerschutz erfüllen, die Wettbewerbsbedingungen angleichen und gleichzeitig die international arbeitsteilige Struktur der Logistikbranche bewahren. Dabei müssten die EU-Mitgliedstaaten endlich aufeinander zugehen und einen Kompromiss finden. Aus Sicht des DSLV sollten nationale Mindestlöhne bei Kabotage gezahlt werden, wohingegen grenzüberschreitende Transporte vollständig vom Entsenderecht auszunehmen seien. Generell seien wirkungsvolle Kontrollen notwendig.
BGL sieht keinen Verstoß
Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) ist dagegen der Auffassung, dass eine Anwendung des Mindestlohngesetzes auf internationale Verkehre einschließlich Kabotage keinen Verstoß gegen die europäische Dienstleistungsfreiheit darstellt. Das Amtsgericht Weißenburg habe sich nicht ausreichend mit dem europäischen Entsenderecht und mit dem Unionsrecht generell beschäftigt, kritisiert der BGL. "Zu beachten ist, dass die EU-Entsenderichtlinie spezieller ist als das deutsche Mindestlohngesetz", hält er fest. Dass der Anwendungsbereich der Entsenderichtlinie für Kabotage-Fahrten sehr wohl eröffnet ist, sei auch von der EU-Kommission bestätigt worden. Nach Auffassung des BGL würde das Urteil einer Berufung nicht standhalten, könnte diese noch eingelegt werden.
Der Verband ist überdies der Ansicht, dass die Intention des Mindestlohngesetzes nicht nur die Sicherung des Lebensstandards in Deutschland sein sollte, sondern auch die Ermöglichung eines fairen Wettbewerbs. Um den gravierenden Verzerrungen entgegenzutreten, sei es erforderlich, die nationalen Mindestlohnbestimmungen und das EU-Entsenderecht auch bei kurzen Aufenthalten in Deutschland anzuwenden. "Dies gilt für Kabotage und grenzüberschreitende Transporte", betont der BGL. Er geht nicht davon aus, dass der Zoll auf Basis des Weißenburger Urteils auf Anmeldeverfahren und Mindestlohnkontrollen verzichten wird. "Die deutschen Bestimmungen zum Mindestlohn sind weiterhin in Kraft", so der BGL.