Mercedes-Benz Lkw: Der eActros ist auf dem Weg

22. Feb. 2018
Die neue Innovationsflotte von Mercedes-Benz wird zehn schwere Verteiler-Lkw mit Schmitz-Aufbauten umfassen und bei namhaften Transportunternehmen in den Feldversuch gehen.
Man nehme den bewährten Actros und setze an Stelle des konventionellen Antriebsstrangs zwei Elektromotoren mit je 125 kW und 485 Nm, eine Antriebsachse, die daraus je 11.000 Nm Drehmoment macht, sowie elf Pakete mit Lithium-Ionen-Batterien à 240 kWh: fertig ist, vereinfacht dargestellt, das Konzept des eActros.
Vorgestellt haben ihn Daimler-Trucks-Vorstand Martin Daum und Mercedes-Lkw-Chef Stefan Buchner gestern im Rahmen ihres Jahrespressegesprächs. Mindestens 500 Millionen Euro, „eher sogar mehr“, will Daimler laut Daum in den Jahren 2018 und 2019 in die Lkw-Entwicklungsarbeit stecken. Hier sind drei Technologiebereiche definiert: Vernetzung, Automatisierung und Elektrifizierung. „Bei den Batterieantrieben wird oft darüber geredet und es werden frühe Prototypen auf die Bühne geschoben“, teilte Daum einen kleinen Seitenhieb gegen den Wettbewerb aus. Daimler sei hier schon einen Schritt weiter: mit dem Fuso eCanter, der bereits in mehreren Ländern im Einsatz ist, und nun mit dem eActros in der höheren Gewichtsklasse.
Komponenten aus dem Lkw- und Bus-Baukasten
„Den eActros, die Kombination aus unserem Flaggschiff Actros und dem Trendthema E-Mobilität, haben wir wie ein Start-Up aufgezogen“, erläuterte Stefan Buchner. Die dadurch erreichte Flexibilität habe, gepaart mit dem Rückgriff auf diverse Komponenten aus dem globalen Lkw- und Bus-Baukasten, die schnelle Umsetzung des Projekts ermöglicht.
Seinen Anfang hatte das Zukunftsprojekt im Juni 2016 mit der Präsentation eines dreiachsigen Technologieträgers im Tarnmantel genommen. Über den Urban-E-Truck, einen der Hingucker auf der IAA Nutzfahrzeuge 2016, führte der Weg nun zum eActros, der mit dem geplanten Feldversuch zur Serienreife gelangen soll. Fördermittel gab es hierfür auch von zwei Bundesministerien, bei denen sich Buchner ausdrücklich bedankte.
Testbetrieb bei namhaften Spediteuren
Die Innovationsflotte soll in den nächsten Monaten bei namhaften Transportunternehmen wie Dachser, der Nagel Group, Camion Transport, Edeka, Migros, Ludwig Meyer und Rigterink ihre Alltagstauglichkeit unter Beweis stellen. Die Straßenzulassung sei bereits erfolgt. Die Testfahrer verteilen allesamt Waren im Stadtverkehr, die Palette reicht von Lebensmitteln bis zu Baustoffen. Aufgrund der verschiedenen Anforderungen werden die Fahrzeuge unterschiedliche Aufbauten tragen: Kühlkoffer, Trockenkoffer, Silo und Pritsche/Plane/Ladebordwand.
Zweimal 12 Monate bei jeweils zehn Kunden sollen die E-Verteiler im Einsatz sein. „Wir bieten das Rundum-Sorglos-Paket mit Fahrgestell, Aufbaupartner und Ladegeräten“, erläuterte Buchner. „Die Partner wiederum sind bereit, beispielsweise ihre Touren bei Bedarf anzupassen.“ Umfangreichen Kundenbefragung und Fahrzeugdatenerhebung – die auch den Kunden selbst sowie Schmitz Cargobull als Aufbaupartner zugutekommen – ebnen dann den Weg zur Serienreife.
Serienreife bis 2021 geplant
Diese peilt Buchner bis 2020/21 an, als Gesamtlösung aus Fahrzeug, Aufbau und Ladeinfrastruktur, basierend auf den Erfahrungen aus dem Testbetrieb. Bis dahin soll sich der Betrieb eines schweren E-Lkw für den Kunden auch lohnen – hier geben sich Daum und Buchner derzeit keinen Illusionen hin. Das gesamte Umfeld müsse sich verändern. „Man kann nicht saubere Logistik wollen, aber keinen wirtschaftlichen Betrieb ermöglichen.“ Noch stehen Hürden wie höherer Anschaffungspreis, niedrigere Nutzlast und ungeklärte Fragen nach Restwert und Lebensdauer von E-Lkw und vor allem deren Batterien im Raum.
Weitgehend vertraute Umgebung für den Fahrer
Angesichts dessen erweist es sich als Vorteil, auf serienreife oder seriennahe Komponenten aus dem Lkw- und Busbaukasten zurückgreifen zu können, wie sie in den Prototypen des eActros 6x2 (26 t) und eActros 4x2 (18 t) stecken. Rahmen und Classic-Space-M-Fahrerhaus stammen vom Namensgeber, dem konventionellen Actros.
Dem Fahrer bieten sich im Großen und Ganzen die gewohnten Funktionen und Bedienelemente: Pedale, Multifunktionslenkrad, Lenkstockschalter und Assistenzsysteme inklusive ABA 4. Nur der vorausschauende Tempomat ist zunächst nicht vorgesehen, wegen des innerstädtischen Einsatzes und der vergleichsweise geringen Reichweite. Eine vorausschauende Fahrweise sei hingegen besonders gefragt, betont Enrico Wohlfahrt, der technische Projektleiter des „Start-Ups“ eActros. „Der Verbrauch und die Rückgewinnung von Energie spielen hier eine große Rolle, ob beim Beschleunigen, Bremsen oder Segeln (Eco-Roll).“ Sowohl die Dauer- als auch die Betriebsbremse dienen, je nach Bremsintensität, der Rückgewinnung von elektrischer Energie. Die Schulung der Testfahrer wird also garantiert auch eine Art Eco-Training beinhalten.
Die Instrumentenanzeige weist ein paar Änderungen auf, an die man sich aber schnell gewöhnt: links Geschwindigkeit, rechts Stromverbrauch inklusive Energierückgewinnung und dann noch die kleinere Anzeige rechts unten, die Auskunft über den Ladezustand gibt. Dieser kann auch im Menü abgefragt werden.
Herausforderung Elektro-Architektur
Der 170-mm-Motortunnel wird eigentlich nicht mehr gebraucht und könnte einem ebenen Boden weichen. Gleichwohl war es eine Herausforderung, die Architektur für den elektrischen Antrieb im Chassis unterzubringen. „Wir mussten die Komponenten neu anordnen – und es ist ganz schön eng geworden“, berichtet Martin Zeilinger, Head of Advanced Engineering bei Daimler Trucks. Ladesteckdose, Steuerung, Verteiler etc. sind auf der rechten Seite des Fahrgestells untergebracht, das Niedervoltsystem mit den beiden herkömmlichen Fahrzeugbatterien auf der linken Seite. Wo sonst der Motor sitzt, haben Kühlsystem und Bremswiderstände Platz gefunden.
Die Antriebsachse basiert auf der ZF AVE 130, die sich als Niederflur-Portalachse in Hybrid- und Brennstoffzellen-Omnibussen von Mercedes-Benz bewährt hat und für den eActros überarbeitet wurde. Der Achskörper ist komplett neu konzipiert und liegt jetzt deutlich höher, was die Bodenfreiheit auf mehr als 200 Millimeter vergrößert. Der Antrieb erfolgt über zwei Elektromotoren nahe den Radnaben der Hinterachse. Diese Dreiphasen-Asynchronmotoren sind flüssigkeitsgekühlt und arbeiten mit einer Nennspannung von 400 Volt. Ihre Leistung beläuft sich laut Daimler auf jeweils 125 kW, das maximale Drehmoment auf jeweils 485 Nm. Durch Übersetzung werden daraus jeweils 11.000 Nm. Dies sei der Fahrleistung eines Diesel-Lkw ebenbürtig, betonen die Verantwortlichen. Die maximal zulässige Achslast liegt bei den üblichen 11,5 Tonnen.
Die Batterien
Die Energie für die – abhängig von Umgebungstemperatur, Fahrstil und Nebenabtrieb – bis zu 200 Kilometer Reichweite kommt aus Lithium-Ionen-Batterien mit 240 kWh. Sie haben sich bereits bei EvoBus bewährt und sind in insgesamt elf Paketen verbaut: Drei befinden sich im Bereich des Rahmens, die anderen acht quer unterhalb. Jedes Paket wiegt etwa 200 Kilo. Rein gewichtsmäßig sei der eActros 6x2 gegenüber dem vergleichbaren Motorwagen mit konventionellem Antrieb also 2,5 Tonnen schwerer, räumt Projektleiter Wohlfahrt ein. Aber da beim E-Fahrzeug eine Tonne mehr zulässiges Gesamtgewicht erlaubt sei, fielen letztlich nur 1,5 Tonnen Verlust sprichwörtlich ins Gewicht. Damit könnten die Testkunden gut leben, da es bei ihrer Fracht eher um Volumen gehe.
Zur Sicherheit sind die Batteriepakete durch Stahlgehäuse geschützt. Im Fall eines Aufpralls geben die Halterungen nach, verformen sich und leiten so die Energie an den Batterien vorbei, ohne sie zu beschädigen. Die Hochvolt-Batterien speisen nicht nur den Antrieb, sondern das komplette Fahrzeug mit Energie: das Kühlsystem, den Druckluftkompressor der Bremsanlage, die Pumpe für die Servo-Lenkung, den Kompressor der Fahrerhaus-Klimaanlage und, sofern vorhanden, auch den Kühlaufbau. Dass dort kein Dieselkühler brummen soll, liegt auf der Hand. Um möglichst wenig Einbußen bei der Reichweite in Kauf nehmen zu müssen, ist hier der Hersteller gefragt, besonders sparsame Elektrokühler beizusteuern.
Die leeren Fahrzeugbatterien lassen sich laut Daimler mit mobilen Ladegeräten von 20 bis 80 kW innerhalb von drei bis elf Stunden vollständig aufladen. Bei einer stationären Ladesäule mit 150 kW soll es nur zwei Stunden dauern. Ladestandard ist das Combined Charging System CCS. Das Niedervolt-Bordnetz mit zwei herkömmlichen 12-Volt-Batterien wird mithilfe eines DC/DC-Wandlers aus den Hochvolt-Batterien geladen. So können bei Ausfall oder Abschalten des Hochvolt-Netzes alle relevanten Fahrzeugfunktionen aufrechterhalten werden. Das Hochvolt-Netz lässt sich nur starten, wenn die beiden 12-Volt-Batterien geladen sind.
Erste Fahreindrücke
Doch nun zur spannenden Frage: Wie fährt sich der eActros? Dies lässt sich vorerst nur aus Beifahrersicht beantworten, da auf dem Testgelände in Stuttgart-Untertürkheim ausschließlich Werksfahrer ans Steuer dürfen. Aber ja, es hat etwas, wenn ein ausgewachsener Lkw stufen- und nahezu geräuschlos beschleunigt und das – sofern dem Fahrer nicht gerade nach Stromsparen zumute ist – so brachial, dass einem der Stift von der Ablage entgegenfliegt. Auf der Strecke dreht der eActros dann genauso unaufgeregt und zuverlässig seine Runden wie sein konventioneller Bruder. Ob der eActros die Spediteure im harten Arbeitsalltag genauso elektrisiert wie die Pressevertreter, wird sich dann im Laufe des Jahres zeigen.