Mercedes: eActros im Wintertest

15. März 2023 Newsletter / Fahrzeug & Technik
Die Wintermonate hat Mercedes-Benz Trucks zur Erprobung von batterieelektrischen Lkw genutzt.
Entwicklungs- und Versuchsingenieure waren über sechs Wochen im finnischen Rovaniemi nahe des Polarkreises auf öffentlichen Straßen und abgesperrten Teststrecken unterwegs. Bei bis zu minus 25 Grad musste sich der Prototyp des 2024 in die Serie startenden eActros LongHaul und der eActros 300 als Sattelzugmaschine beweisen, bei Wind und Wetter, auf Schnee und Eis. Im Fokus: das Handling, die Ergonomie und der Komfort. Laut eigenen Angaben hat der Hersteller zudem das Startverhalten der E-Lkw bei eisigen Temperaturen unter die Lupe genommen und außerdem das Thermomanagement, das Ladeverhalten und die Robustheit der Sensoren überprüft.
Das Team um Dr. Christof Weber, Head of Global Testing bei Mercedes-Benz Trucks, will aus den Ergebnissen nun weitere Optimierungen der Funktionen und Systeme der E-Lkw ableiten. Für Weber sind die Anforderungen klar: „Transportunternehmen müssen sich in einem hart umkämpften Wettbewerbsumfeld zu jeder Jahreszeit genauso auf unsere E-Lkw verlassen können, wie sie es von konventionell angetriebenen Fahrzeugen gewohnt sind.“
eActros 300 auf eigener Achse
Schon die rund 2.800 Kilometer lange Hinfahrt vom Entwicklungs- und Versuchszentrums (EVZ) in Wörth am Rhein nutzten die Ingenieure zur Gewinnung von Erfahrungswerten. Die eActros 300 Sattelzugmaschine habe man dafür auf eigener Achse nach Finnland überführt, der eActros LongHaul wurde mangels Straßenfreigabe auf dem Tieflader transportiert, erklärte Weber in einer Live-Internet-Schalte vor Fachjournalisten. So konnte beispielsweise der Einfluss von länderspezifischen Spurmarkierungen, Verkehrszeichen oder digitalen Kartendaten auf die Leistungsfähigkeit der Assistenzsysteme überprüft werden.
„Spannend war zu sehen, wie oft man am Steuer gewarnt wird, wo das nicht notwendig ist“, sagte Weber. „Wenn man die Assistenzsysteme gut aufeinander abstimmt und möglichst wenige dieser Fehlmeldungen bekommt, dann sind das wirkliche Hilfen und man kommt abends weniger angespannt, weniger physisch belastet am Ziel an.“ Auch Fahrzeuge der Mitbewerber habe das Team mitgenommen, um sich ein Bild zu machen, wie dort der Stand ist.
Für das Aufladen der Akkus habe man an öffentlichen Ladestationen an den Autobahnen Halt gemacht. „Da haben wir heute noch nicht so viele reine E-Lkw-Ladestellen. Aber man kann auch an den Pkw-Ladestellen laden, braucht dann nur zwei bis drei Stellplätze“, sagte Weber. Er war für die Fragerunde aus Aksaray in Zentral-Anatolien zugeschaltet. „Unser Team ist auch komplett von Wörth am Rhein bis nach Zentral-Anatolien mit E-Lkw gekommen“, so der Test-Chef.
Pre-Conditioning im Winter ein Muss
Doch zurück zu den Erprobungen in Rovaniemi: Dort sei unter anderem die Rekuperation, also die Rückgewinnung der Bremsenergie, abzustimmen gewesen mit den Assistenzsystemen. „Da ist die Bremslogik mitzuverheiraten. Da konnten wir gute Ergebnisse erzielen“, gab sich Weber zufrieden. In Bezug auf das Thermo- und Energiemanagement der E-Lkw zeigte sich laut Hersteller sogar, dass der eActros LongHaul durch seinen kleineren Heizkreis mit großer Leistung das Fahrerhaus grundsätzlich schneller erwärmt als ein Diesel-Lkw. Die dafür benötigte Energie zieht der E-Lkw allerdings aus seinen Batterien, was die Reichweite reduziert. Die Ingenieure von Mercedes-Benz Trucks empfehlen daher nachdrücklich das sogenannte Pre-Conditioning, also das Vorklimatisieren der Kabine (und der Batterie) an der Ladesäule. Nach dem Pre-Conditioning büße der eActros LongHaul auch bei extremer Kälte weniger an Reichweite ein.
Auf die Frage, wie sehr die Reichweite im Winter und gerade bei Einsätzen zurückgeht, die kein Pre-Conditioning zulassen, wollte Weber allerdings nicht mit konkreten Werten antworten. Diese habe man noch nicht parat. Nur so viel: „Ohne Vorkonditionierung, bei voller Ausladung und hohen Minustemperaturen – da geht das schon deutlich nach unten, das ist klar.“ Für die Einsatzplanung der Kunden in der Praxis arbeite man an einer Matrix, womit Disponenten dann tatsächlich genaue Aussagen treffen könnten. „Wir können unseren Kunden die Zuversicht geben: Unsere Fahrzeuge sind charged&ready“, ist Weber aber auch jetzt schon überzeugt.
GenH2 Wasserstoff-Lkw noch nicht am Start
In Bezug auf den Brennstoffzellen-Lkw GenH2 sei man dagegen noch nicht so weit, dass man die nächste Generation für die größere Serie in Rovaniemi fahren wolle. In den nächsten Jahren dürfte dann aber auch der Wasserstoff-Lkw nördlich des Polarkreises auf die Probe gestellt werden.