Mindestlohn: Verbände kritisieren steigende Kosten
Die geplante Erhöhung des Mindestlohns sorgt in der Transport- und Logistikbranche für Diskussionen. Während Millionen Beschäftigte von mehr Einkommen profitieren, warnen Speditions- und Logistikverbände vor massiven Kostensteigerungen, Rationalisierungsschüben und Wettbewerbsnachteilen gegenüber ausländischen Anbietern.
Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland soll zum 1. Januar 2026 von derzeit 12,82 Euro auf 13,90 Euro pro Stunde steigen. Ein Jahr später ist die nächste Erhöhung auf 14,60 Euro vorgesehen. Darauf einigte sich die unabhängige Mindestlohnkommission Ende Juni 2025 nach schwierigen Verhandlungen.
Bundesregierung setzt Erhöhung um – Millionen profitieren
Die Bundesregierung will den Beschluss per Verordnung umsetzen. Insgesamt bedeutet das bis 2027 ein Lohnplus von knapp 14 Prozent. Rund sechs Millionen Beschäftigte im Niedriglohnbereich profitieren von der Anhebung. In der Transport- und Logistikbranche sorgt der Schritt für unterschiedliche Reaktionen: Arbeitnehmervertreter begrüßen die Verbesserung, während Branchenverbände vor hohen Kosten und Folgen für Unternehmen warnen.
Branchenverbände kritisieren steigende Kosten durch Mindestlohn
Logistikverbände wie der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) und der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) sprechen in einer gemeinsamen Erklärung von den „nächsten großen Kostensprüngen“ für die Unternehmen des Sektors. Der geplante Mindestlohnanstieg entkopple sich zunehmend von der Produktivitätsentwicklung und sei für viele Betriebe in der aktuellen Schwächephase der Wirtschaft kaum erwirtschaftbar.
Forderung nach Steuersenkungen
Angesichts dieser Entwicklung appellieren die Verbände an die Politik, den gefundenen Kompromiss der Kommission zu respektieren und nicht politisch noch eins draufzusetzen. Im Hinterkopf steht dabei das Wahlversprechen der SPD, einen Mindestlohn von 15 Euro einzuführen. Statt weitere Erhöhungen „nachzubessern“, sollten lieber Steuern und Sozialabgaben gesenkt werden, um Beschäftigten mehr Netto zu lassen, ohne die mittelständische Wirtschaft zusätzlich zu belasten, so der Tenor der Branchenverbände.
Übertragungseffekte setzen Tarifgefüge unter Druck
Zudem rechnen die Verbände mit Übertragungseffekten auf höhere Lohngruppen. Diese entstehen, weil Speditionen auch über dem Mindestlohn liegende Gehälter anheben müssen, um Abstände zu erhalten und Unzufriedenheit zu vermeiden. Diese Forderungsspirale setze das gesamte Tarifgefüge unter Druck, warnen die Verbände. Für manche Unternehmen werde ein Verbleib im Tarifvertrag unattraktiv oder untragbar, sodass ein Ausstieg aus Tarifbindungen drohe.
Bayerischer Speditionsverband warnt vor Rationalisierungsschub
Laut dem Landesverband Bayerischer Spediteure (LBS) stellt die zweistufige Erhöhung die Branche vor ernstzunehmende Herausforderungen. Der wachsende Kostendruck zwinge viele Betriebe zu mehr Automatisierung und Rationalisierung. Vor allem Stellen für gering qualifizierte Beschäftigte – etwa in Lager-, Sortier- und Umschlagzentren – seien gefährdet. „Das war bereits bei vorangegangenen Mindestlohnerhöhungen zu beobachten“, erläutert LBS-Geschäftsführerin Sabine Lehmann mit Blick auf die absehbaren Rationalisierungsschübe.
Steigende Lohnkosten führen zu Preisdruck in Lieferketten
Die zusätzlichen Lohnkosten verschwinden nicht folgenlos im Nirwana, betont der LBS – letztlich müssten Industrie, Handel, Dienstleister und Verbraucher die steigenden Kosten über höhere Preise mittragen. Insbesondere im Verbrauchergeschäft dürfte sich der Preisdruck entlang der Lieferkette erhöhen. Angesichts zuletzt sinkender Frachtpreise und gleichzeitig nötiger Investitionen, etwa in Digitalisierung, erhöht sich der betriebliche Anpassungsdruck erheblich. Manche Marktteilnehmer befürchten überdies Wettbewerbsnachteile, falls Konkurrenten mit niedrigeren Lohnkosten – etwa im europäischen Ausland – preislich Boden gutmachen.
Thüringer Verband befürchtet Belastung für Mittelstand
Ähnlich äußert sich Martin Kammer, Hauptgeschäftsführer des Landesverbands Thüringen des Verkehrsgewerbes (LTV), gegenüber der Fachzeitung trans aktuell. Die geplante Anhebung des Mindestlohns wird seiner Einschätzung nach spürbare Auswirkungen auf die mittelständisch geprägte Transportbranche im Freistaat haben. Besonders im Güterverkehr sehen demnach viele Mitgliedsunternehmen die Entwicklung kritisch.
Speditionen zahlen schon mehr – dennoch droht Wettbewerbsnachteil
„Ein Großteil der Speditionen zahlt heute schon mehr als den gesetzlichen Mindestlohn, um überhaupt Fahrer zu bekommen oder zu halten“, erklärt Kammer. Doch die Dynamik der Anpassungen sei problematisch – vor allem in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Die Branche stecke in einer angespannten Lage, viele tarifgebundene Speditionen hätten Schwierigkeiten, Ausschreibungen zu gewinnen. „Ein leichter Anstieg wäre kein Problem – aber die Geschwindigkeit der Anpassungen überfordert viele Betriebe.“ Nach der Mauterhöhung 2023 sei die Liquidität vieler Unternehmen geschwächt. Auch zur Wettbewerbsfähigkeit äußert sich Kammer deutlich: „Wir müssen eine weitere Lohnrunde schultern, während andere billiger anbieten – das ist ein Wettbewerbsnachteil.“ Osteuropäische Unternehmen hielten sich laut LTV oft nicht an die Mindestlohnvorgaben.
Niedersachsens Verkehrsgewerbe warnt vor Tarifflucht
Auch der Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) sieht die Anhebung des Mindestlohns durchaus kritisch – auch wenn die zunächst befürchtete Erhöhung auf 15 Euro ausgeblieben ist. Die neuen Lohnuntergrenzen bedeuteten dennoch einen massiven Eingriff in das bestehende Lohngefüge.
Übertragungseffekte könnten Tarifbindung schwächen
„Der Mindestlohn-Beschluss ist ein kräftiger Schluck aus der Pulle“, sagt Benjamin Sokolovic, Hauptgeschäftsführer des GVN gegenüber der Fachzeitung trans aktuell. Aus seiner Sicht droht durch die geplante Anhebung ein direkter Kostenschub mit den bereits erwähnten Übertragungseffekten. „Ganz nach dem Prinzip ‚Die Flut hebt alle Boote‘ steigen auch die Erwartungen auf Erhöhungen in angrenzenden Lohngruppen, was das gesamte Tarifsystem unter Druck setzt und zu weiterer Tarifflucht führt.“
Kleine Speditionen besonders unter Druck
Insbesondere kleine und mittlere Speditionen sieht der Verband vor wirtschaftlichen Herausforderungen. Während größere Anbieter besser mit den steigenden Personalkosten umgehen könnten, gerieten kleinere Betriebe unter stärkeren Wettbewerbsdruck – vor allem dort, wo viele ungelernte Arbeitskräfte im Einsatz seien, etwa in Umschlagbetrieben und der Lagerlogistik. „Es drohen Lohnspiralen mit möglichen Folgen für Arbeitsplätze“, warnt Sokolovic.
GVN fordert weniger politische Einflussnahme beim Mindestlohn
Positiv sei aus Verbandssicht lediglich, dass die Mindestlohnkommission nicht dem politischen Ruf nach sofortigen 15 Euro gefolgt sei. Dennoch bedeute der nun beschlossene Stufenplan einen Gesamtanstieg von fast 14 Prozent gegenüber dem aktuellen Niveau. Auch mit Blick auf den Wettbewerb im europäischen Markt mahnt der GVN zur Vorsicht. „Die Mindestlohnanhebung verschärft den internationalen Kostendruck“, betont Sokolovic. Wer jetzt nicht konsequent automatisiere, aktiv Preise kommuniziere und Effizienzpotenziale hebe, laufe Gefahr, im EU-Vergleich zurückzufallen. Gegen den Preisvorteil osteuropäischer Anbieter helfe nur eine klare Positionierung über Qualität, Nischen oder spezialisierte Dienstleistungen.
Verband fordert Steuerentlastung und stärkere Kommission
Forderungen nach staatlicher Unterstützung formuliert der Verband deutlich: „Die Politik muss endlich Steuern und Sozialabgaben senken, um das verfügbare Einkommen der Beschäftigten zu erhöhen.“ Darüber hinaus fordert Sokolovic einen klaren Rückzug der Politik aus der Mindestlohngestaltung: „Die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission muss gelebt und die politische Einflussnahme verboten werden – sonst haben wir das Theater alle zwei Jahre.“
Mindestlohnerhöhung bedroht Geschäftsmodelle im Mittelstand
Aus Sicht mittelständischer Logistikunternehmen verschärft die Erhöhung des Mindestlohns nicht nur den Kostendruck, sondern stellt ganze Geschäftsmodelle infrage. „In einem hart umkämpften Markt mit Mini-Margen droht nicht nur der Verlust von Preiskompetenz, sondern auch der Verlust langfristig laufender Verträge“, warnt Mathias Krage, geschäftsführender Gesellschafter von Krage + Gerloff Logistik. Die steigenden Personalkosten hätten direkte Auswirkungen auf Kalkulation und Angebotspreise – mit teils gravierenden Folgen. „In der Konsequenz müssen Geschäftsmodelle und Geschäftsfelder permanent neu angepasst werden. Für viele Betriebe stellt das eine wirtschaftliche Zäsur dar.“
Unternehmen warnen vor zu viel Symbolpolitik
Krage betont zwar, dass sein Unternehmen bereit sei, Verantwortung als Arbeitgeber zu übernehmen: „Faire Bezahlung gehört selbstverständlich dazu.“ Doch in der Summe der Belastungen – von regulatorischen Vorgaben über Digitalisierung bis zur Transformation – stoßen viele Mittelständler an die Grenze ihrer wirtschaftlichen Tragfähigkeit. „In dieser angespannten Gesamtlage ist jede zusätzliche Belastung, selbst wenn sie aus guten Gründen erfolgt, eine ernsthafte Prüfung wert.“
Faire Löhne wichtig – aber nur im Rahmen der Wirtschaftlichkeit
Auch mit Blick auf den Wettbewerb um Personal sieht Krage die geplante Erhöhung mit gemischten Gefühlen. Zwar sei faire Bezahlung ein klares Signal und Bestandteil attraktiver Arbeitsbedingungen. „Ich kann aber nur das Geld ausgeben, das ich auch verdiene, also was sich am Markt realisieren lässt“, so der Unternehmer. Andernfalls drohten wirtschaftliche Schieflagen, Personalabbau oder schlimmstenfalls die Insolvenz. Krage warnt vor zu viel Symbolpolitik: „Gute Absichten reichen nicht, wenn die wirtschaftliche Basis nicht mitgedacht wird.“
Steigende Personalkosten belasten mittelständische Speditionen
Auch Georg Menell, Geschäftsführer des gleichnamigen Transportunternehmens aus Sachsenhagen (Niedersachsen), verweist auf die bereits erwähnten Übertragungseffekte. Die Folge seien spürbar steigende Personalkosten, die sich direkt auf die Kalkulation und Angebotspreise auswirken – eine Herausforderung in einer Branche mit traditionell engen Margen. Hinzu kommt ein wachsender Frust über die bürokratischen Rahmenbedingungen. „Um wettbewerbsfähig zu bleiben und gleichzeitig unseren Mitarbeitern attraktive Löhne zu zahlen, würde es uns schon helfen, wenn die Politik uns nicht weiter mit Bürokratie belastet“, fordert Menell.
Mindestlohn auch Chance im Wettbewerb um Fahrer
Trotz aller Herausforderungen sieht Menell in der Lohnerhöhung auch eine strategische Komponente im Kampf um qualifiziertes Fahrpersonal. „Die Erhöhung ist natürlich auch immer eine Chance im Ringen um Kraftfahrer – insbesondere im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz.“ Von Gewerkschaftsseite wird die Anhebung hingegen ausdrücklich begrüßt. „Auch wenn es nicht 15 Euro geworden sind, ist es doch eine erhebliche finanzielle Verbesserung für die Beschäftigten im Niedriglohnsektor“, betont Verdi-Vizechefin Andrea Kocsis, die in der Mindestlohnkommission mitverhandelte. Vollzeitbeschäftigte mit Mindestlohn erhalten damit ab 2026 circa 190 Euro brutto mehr im Monat. Ab 2027 erhöht sich ihr Gehalt gegenüber dem heutigen Stand um etwa 310 Euro monatlich, was aufs Jahr gerechnet rund 3.700 Euro zusätzlich bedeutet.