Renault Trucks T520 Maxispace: Mehr als Äusserlichkeiten

05. Juli 2015
Drehen sich die Gespräche um den Renault Trucks T, geht es fast immer nur um das ­Design. Auf unserer rund 2.000 Kilometer langen Testfahrt mit dem Franzosen war das ebenso der Fall. An Autohöfen kommt es immer wieder zu Diskussionen über das Äußere des großen Franzosen. Seine technischen Eigenschaften treten dabei in den Hintergrund. Kaum ein Lkw-Fahrer spricht beispielsweise über die leistungsstärkste Ausführung des 13 Liter großen Motors, es geht auch nie um das große Fernverkehrshaus, das High Sleeper Cab. Die Geister scheiden sich zu sehr an der Optik des T. Schade, denn der Franzose hat viel mehr zu bieten als nur ein unkonventionelles Design.

Wer sich ein umfassendes Urteil über den T bilden möchte, sollte zunächst über die vier steilen Stufen über dem Radkasten das hoch positionierte Fahrerhaus entern. Oben angekommen, heißt ein topfebener Kabinenboden den Fahrer willkommen. Den Verzicht auf einen Motor­tunnel hat sich Renault Trucks für die großen Häuser ins Lastenheft geschrieben. So kann der Fahrer sich frei im geräumig angelegten Wohn- und Arbeitszimmer bewegen.

Sogleich fallen die zahlreichen Schränke über Armaturenträger und Bett auf. Gab es im Magnum gelegentlich Platzprobleme beim Verstauen des täglichen Bedarfs, ist im T mit dem sogenannten Maxispace-Konzept reichlich Raum. Neben den fünf Staufächern oberhalb der Windschutzscheibe ersetzt im Maxispace-Haus eine weitere Schrankeinheit mit drei Fächern die obere ­Liege. Unterm Bett findet sich zudem ein geräumiges Staufach, das auch von außen zugänglich ist.

Ablagen knapp bemessen

Was trotz reichlich Fächern etwas zu kurz kommt, sind Ablagen für Dokumente und ­Papiere in der Nähe des ­Fahrerarbeitsplatzes. Im Format DIN A4 ist dort nichts zu finden. ­Einzige Alternative ist die Ablage auf dem ­Armaturenträger, unter der sich auch gut ­zugänglich der Sicherungskasten versteckt.

Vor dem Start hilft ein Blick in die Bedienungsanleitung, um den Besonderheiten des T auf die Schliche zu kommen. Wenn der Lesestoff auch trocken ist, so lässt er sich wenigstens gemütlich im drehbaren Beifahrersitz konsumieren. Vom 90 Grad gedrehten Sitz aus kann der Fahrer, wenn die Arme schwer werden, das Bibel-dicke Werk auf dem Klapptisch überm Bett ablegen. Der bietet reichlich Fläche, könnte aber eine rutschhemmende Oberfläche, Kanten am Rand und einen Becherhalter gut vertragen. Letzterer käme allerdings nur zum Einsatz, wenn der Fahrer vor dem Drehen des Beifahrersitzes sein Getränk aus dem Kühlschrank holt. Andernfalls lässt sich die elektrisch verriegelte Schublade des Kühlschranks nicht öffnen, weil der gedrehte Sitz den Weg verstellt.

Nach dem Studium des Bordbuchs steht dem Beginn der Tour nichts mehr im Wege. Der bequeme Fahrer-Ledersitz lässt sich leichtgängig in Position bringen. Die Einstellung des Lenkrads nach Betätigen der Taste neben der Lenk­säule fällt schwerer. Im Gegensatz zum Konzernbruder Volvo FH bietet der Renault anstatt drei nur zwei Verstellpunkte an der Lenk­säule an. Das letzte bisschen Neigung des Volants für ­eine dauerhaft bequeme Armposition bleibt der T schuldig.

Aufgeräumtes Cockpit

Das ebenso futuristisch wie basisch gestaltete Cockpit des französischen Flaggschiffs wirkt aufgeräumt. Alle Schalter sind in Reichweite, ­allerdings teilweise nicht intuitiv bedienbar, wie sich auf den ersten Metern herausstellt. Vor dem Motorstart muss der Fahrer noch im Navi das ­Tagesziel programmieren, was sich als schwierig erweist. Eine einfache Zieleingabe, wie man sie von Tom-Tom, Garmin und Co. kennt, sucht der Fahrer vergebens. Es dauert trotz vermeintlich einfacher Bedienung per Touchscreen beim ­ersten Versuch tatsächlich gut zehn Minuten, bis das ­erste Ziel über das Menü mit seinen zahlreichen Ebenen eingestellt ist. Bei der zweiten Zieleingabe am nächsten Tag geht dann aber ­alles wesentlich leichter von der Hand.

Längere Einarbeitungsphasen nötigt der ­Re­nault T dem Fahrer auch während der Fahrt ab. Im ersten Schritt gilt es, alle benötigten Schalter, Rädchen und Regler zu finden. So verstecken sich beispielsweise auf der Unterseite des Lenkrads auf drei und neun Uhr Bedienelemente für die Menüführung des Kombiinstruments und die Steuerung der Tempomatgeschwindigkeit. Letztere kommt allerdings erst zum Einsatz, wenn der Fahrer am Armaturenträger über einen Drehschalter mit logisch angeordneten Funktionen die Wahl zwischen Limiter, Tempomat (CC) und Abstandsregeltempomat (ACC) getroffen hat. Vor allem beim Wechsel zwischen CC und ACC braucht der blinde Griff zum ­Armaturenträger etwas Übung. Deutlich intuitiver geht das bei Fahrzeugen der Wettbewerber von der Hand, die die Steuerung ausschließlich über Tasten auf dem Lenkrad bewerkstelligen.

Gute Kombination aus Motor und Übersetzung

Nach einer gewissen Einarbeitungszeit ist die Bedienung des Renault T unkompliziert. Von Stuttgart aus geht es direkt auf die Autobahn in Richtung Norden. Bereits auf den ersten Metern beeindruckt der T520 mit ansprechenden Fahrleistungen und einer gelungenen Schaltstrategie. Die Kombination des 13-Liter-Motors mit 520 PS und einem Drehmoment von 2.550 Newtonmetern ab 1.050 Umdrehungen mit der längsten verfügbaren Hinterachsübersetzung (i = 2,64) erweist sich als gute Kombination für den 40 Tonnen schweren Zug.

Dabei weiß das Zwölf-Gang-Optidriver-Getriebe, mit den meisten Fahrsituationen souverän umzugehen. Bei aktiviertem ACC wechselt das Fahrzeug die Gänge nach oben so früh wie möglich. Dafür schaltet es bei Bedarf erst spät zurück. Bei einer schwächeren Motorisierung ist das nicht immer die beste Lösung, aber mit dem leistungsstärksten Aggregat kombiniert, gibt sich Optidriver keine ­Blöße. Bei 85 km/h im Direktgang hat der T520 bei 1.215 Umdrehungen noch ausreichend Reserven.

Neigungssensor erkennt Streckenverlauf

Besonders beeindruckend ist die Schaltstrategie in hügeligem Terrain. Bislang muss der Renault T ohne einen vorausschauenden Tempomaten à la I-Shift im Volvo FH auskommen. Dafür anti­zipiert ein Neigungssensor im Getriebe den Streckenverlauf. So nimmt die Software bei ­einer auslaufenden Steigung und einer eingestellten Hysterese (dreistufig einstellbar) von 80 bis 89 km/h bei einer Marschgeschwindigkeit von 84 km/h rechtzeitig Gas weg, in der Hoffnung, dass nach der Kuppe das Fahrzeuggewicht wieder für mehr Geschwindigkeit sorgt. Diese Einschätzung passt in den meisten Fahrsituationen. In der Ebene nutzt der T zudem häufig und gekonnt per Freilauffunktion die kinetische Energie des Lastzugs. Die exakt gesteuerte Dauerbremsarbeit übernimmt eine Kombination aus der Motorbremse Optibrake+ (414 kW) und ­einem hydraulischen Voith-Retarder (450 kW).

Am Abend steht der Renault T auf einem ­Autohof nahe Münster. Hinter den nahezu lichtdichten Vorhängen ist ein komfortables Lager auf dem ausziehbaren Bett schnell bereitet. Die Schallisolierung der Kabine ist ordentlich. Die meisten Fahrzeugfunktionen lassen sich per Fernbedienung vom Bett aus steuern. Einziges Manko: Den Wecker muss der Fahrer am Kombiinstrument einstellen, das sich hinterm hochgeklappten Lenkrad versteckt. Das tut aber der Gemütlichkeit wenig Abbruch. Nach dem Duschen am nächsten Morgen freut sich der Fahrer über die Aufhängmöglichkeiten fürs nasse Handtuch oberhalb des Betts, die zugleich auch die Halterungen für die Hängematte an Bord sind. Der Renault T erweist sich schon nach dem ersten Tag als funktionaler Partner im täglichen Fernverkehr. Reichlich Stauraum und ein komfortables Bett zeichnen den Franzosen ebenso aus wie der gelungene Antriebsstrang. Zwar ist ­einiges am Bedienkonzept eigenwillig umgesetzt, doch die Einarbeitungsphase hierfür lässt sich verschmerzen. Je länger die Tour dauert, umso weniger fällt das ins Gewicht. Am Ende der 2.000 Kilometer langen Tour steht fest: Es lohnt sich durchaus, das Gespräch von Äußerlich­keiten auf die inneren Werte des Renault-Flaggschiffs zu leiten.