Schiene: Kombiverkehr fordert Qualitätssprung

23. Juni 2022 Newsletter
Für Kombiverkehr sind die massiven Qualitätsprobleme eine erhebliche Wachstumsbremse. Ohne Zugausfälle hätte das Unternehmen im vergangenen Jahr nach Schätzung der beiden Geschäftsführer Alexander Ochs und Armin Riedl 15 bis 17 Prozent mehr Sendungen befördern können.
Fakt ist: Die Logistikbranche muss sich darauf einstellen, dass die Probleme auf dem Schienennetz länger anhalten werden. Die umfangreichen Bauaktivitäten werden nach Prognose der Güterbahn DB Cargo dieses Jahr zu weiteren massiven Qualitätseinschränkungen führen. Besonders stark betroffen sind demnach die wichtigen EU-Korridore von Rotterdam nach Genua und von Skandinavien in den Mittelmeerraum. Leidtragende seien nicht nur DB Cargo, sondern der gesamte Schienengüterverkehr, sagte DB Cargo-Produktionsvorstand Ralf Günter Kloß am Mittwoch bei der Gesellschafterversammlung des Intermodalspezialisten Kombiverkehr in Frankfurt.
Umleitungsstrecken häufig stark belastet
Das Routing über Umleitungsstrecken sei ebenfalls nicht unproblematisch, da diese sehr stark belastet und störanfällig seien. Die Hitze mache Gleisen und Weichen zusätzlich zu schaffen und das Zeitfenster, das der Güterverkehr auf den Umleitungsstrecken nutzen könne, sei sehr knapp – meist von null bis vier Uhr.
DB Cargo habe „eine Reihe von Maßnahmen“ eingeleitet, um die Stabilität im Netz zu erhöhen – unter anderem Lokführer eingestellt und beschlossen, 40 weitere Loks anzumieten, wobei bislang nur 25 am Markt verfügbar waren. Zum 1. Juli wird die Güterbahn nach Angaben von Kloß die Bereiche Kundencenter (in Duisburg) und Operations (aktuell in Frankfurt) in Duisburg zusammenführen. Der dann angedachte gemeinsame Control Tower könne die Prozesse besser steuern und schneller Auskunft geben – wovon zum Beispiel Operateure wie Kombiverkehr profitieren sollen.
DB Cargo will sich ferner dafür einsetzen, dass bei Baustellen künftig Vorhaben gebündelt werden. Bedeutet: Neben den akuten Maßnahmen sollen auch gleich die eigentlich erst später anfallenden Eingriffe in Angriff genommen werden. Das setze eine intensive Vorplanung voraus. Der DB Cargo-Produktionsvorstand äußerte die Hoffnung, dass sich damit die Qualität in den nächsten zwei Jahren auf 80 Prozent erhöhen lässt. Kloß zeigte Verständnis für den Unmut der Speditionen, die wie ihre Kunden unter den Verspätungen und Zugausfällen leiden. „Annahmesperren zu verhängen, macht unseren Mannschaften auch keinen Spaß“, betonte er.
Für Kombiverkehr sind die massiven Qualitätsprobleme eine erhebliche Wachstumsbremse. Ohne Zugausfälle hätte das Unternehmen im vergangenen Jahr nach Schätzung der beiden Geschäftsführer Alexander Ochs und Armin Riedl 15 bis 17 Prozent mehr Sendungen befördern können. Infolge der Störungen fielen laut Ochs im Zugbetrieb mehr als 3.000 Kombiverkehr-Züge aus – das entspricht etwa 90.000 Lkw-Ladungen. Am Ende waren es 937.959 Sendungen, die Kombiverkehr 2021 beförderte, was einem Zuwachs von 9,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Unter normalen Umständen hätte das Unternehmen also erneut die Marke von einer Million Sendungen geknackt.
Die Sendungsbilanz von Kombiverkehr
National gab es ein Plus von 15,4 Prozent auf 190.521 Einheiten. International erzielte Kombiverkehr einen Zuwachs von 7,9 Prozent auf 747.438 transportierte Sendungen. Impulse kamen unter anderem durch das im April vorigen Jahres ans Netz angebundene Megahub Lehrte und durch Aufnahme einer neuen Direktzug-Verbindung von Krefeld, Rotterdam und Gent ins norditalienische Mortara.
Traditionell sind die Achsen über die Schweiz und Österreich nach Italien die am stärksten gebuchten bei Kombiverkehr: Fast die Hälfte der internationalen Sendungen entfällt auf diese Züge. Geschäftsführer Ochs bezeichnete die im Alpenverkehr erzielten Zuwächse auch deshalb als bemerkenswert, weil auf diesen Strecken Sperrungen, eine Überschwemmung im Rangierbahnhof München Nord und ein Stellwerksbrand bei Verona zu verschmerzen waren. Ebenfalls ein Erfolg für Kombiverkehr: Nach sechs rückläufigen Jahren stieg erstmals das nach Mittel-, Ost- und Südosteuropa transportiere Volumen – konkret um 12,8 Prozent auf 65.201 Sendungen.
Bei allen Erfolgsmeldungen aber treibt auch die Kombiverkehr-Verantwortlichen ein Thema um: die unzureichende Qualität auf dem Netz. „Leider kommen wir beim Wachstum nicht von der Stelle“, brachte es der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Unternehmer Hermann Lanfer aus Meppen, auf den Punkt. „Die mangelnde Infrastruktur vermasselt uns die Performance“, sagte er und kündigte an, der Politik „auf den Senkel zu gehen“. Wer „mehr Güter auf die Bahn“ predige, müsse der Branche auch die dafür nötigen Möglichkeiten geben.
In wenigen Tagen ist Lanfer mit den Kombiverkehr-Geschäftsführern zu Besuch bei Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und will dann auch diese Themen adressieren. „Wir werden nicht nachlassen, eine bessere Qualität einzufordern“, betonte auch Geschäftsführer Riedl. Im Mai vorigen Jahres ließ die Qualität demnach am stärksten zu wünschen übrig – „ein historischer Tiefstand der Gesamtqualität“, wie es hieß; nur noch jeder zweite Zug erreichte sein Ziel laut Fahrplan.
Mit den Verspätungen steigt der Aufwand
Mit den Verspätungen einher geht ein erhöhter Aufwand für die am KV beteiligten Akteure – was zum Beispiel Personaleinsatz, Terminalslots und Wagenumläufe angeht, was einige demnach an die Belastungsgrenze brachte. Sowohl Kombiverkehr als auch die Kommanditisten fordern daher Konsequenzen. Konkret mahnt Kombiverkehr-Chef Riedl eine bessere Kommunikation und Abstimmung bei allen Bauaktivitäten an. Er fordert, dass auch im Baubetrieb wichtige Korridore samt Ausweichstrecken offen gehalten werden und dass auch die Kapazitäten an den Terminals dem steigenden Bedarf angepasst werden. Damit Terminalbetreiber ihre Anlagen erweitern können, müsse aber zunächst die Richtlinie zur Förderung von Umschlaganlagen im KV so schnell wie möglich bei der EU-Kommission zur Notifizierung eingereicht werden.
Um den Akteuren am Markt in der angespannten Lage etwas Luft zu geben, wirbt Riedl ferner für eine komplette Aussetzung der Trassenpreise, aktuell schlagen diese noch mit rund 360 Millionen Euro zu Buche, sowie die im Koalitionsvertrag vorgesehene Mautbefreiung auf Vor- und Zuläufen. Auch Prämien für die Nutzung des KV nach dem Vorbild anderer Länder kann sich Kombiverkehr vorstellen.
Für die Verantwortlichen bei Bay Logistik in Waiblingen muss die Stabilität im Netz ebenfalls dringend erhöht werden. „Wir sehen die Situation eher als einen Verkehrskollaps, der einer Qualitätsinsolvenz gleichkommt“, sagte Geschäftsführer Michael Schaaf gegenüber DB Cargo-Produktionsvorstand Kloß vor den Delegierten der Gesellschafterversammlung. Das Ergebnis sei, dass sich die CO2-Bilanz sogar verschlechtere – weil Verkehre wieder vermehrt über die Straße laufen.
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