Schweiz eröffnet Ceneri-Basistunnel
Die Schweiz eröffnet am 4. September den Ceneri-Basistunnel. Vier Jahre nach dem Gotthard-Basistunnel schließt das Land damit den Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) ab. Die Flachbahn durch das Gebirgsmassiv, zu der auch der Lötschberg-Basistunnel gehört, erhöht die Kapazität im Güterverkehr. Ihr Ziel ist, die Verlagerungspolitik auf dem wichtigsten europäischen Korridor Rotterdam-Genua zu stärken.
Sattelauflieger profitieren
Nord und Süd rücken näher zusammen, und dank geringer Steigung benötigen Züge auf der Gotthard-Achse künftig keine zusätzliche Lokomotive. Das spart Zeit und Geld, zusätzlich können längere Züge mit mehr Gewicht fahren. Wenn dann noch der Profilausbau auf dem Korridor abgeschlossen ist, gibt es auch genug Platz für Sattelauflieger mit vier Metern Eckhöhe. Das Schweizer Bundesamt für Verkehr (BAV) geht davon aus, dass die gesamte Güterverkehrsmenge auf der Gotthard-Achse bis 2030 um etwa ein Drittel zunehmen wird. Am meisten werde der unbegleitete kombinierte Verkehr mit Sattelaufliegern, Containern und Wechselbrücken mit einem Plus von etwa 40 Prozent profitieren. Das alles ist aber auch abhängig von leistungsfähigen Zulaufstrecken.
Keine Hindernisse aus südlicher Richtung
Von Süden her ist das kein Problem. Aus Italien führen drei Bahnstrecken zur NEAT, deren Ausbau sich auf eine bilaterale Vereinbarung aus dem Jahr 1999 stützt: Novara – Domodossola – Simplon, Luino – Bellinzona und Mailand – Chiasso – Bellinzona. Italien habe deren Leistungsfähigkeit in den letzten 20 Jahren „durch eine Reihe unspektakulärer, aber wirksamer Ausbauten gesteigert, wie zum Beispiel neue Kreuzungsstellen, bessere Signale für kürzere Zugfolgen und punktuelle Doppelspurausbauten“, berichtet das BAV. Ab Jahresende sei zudem die ganze Gotthard-Achse Richtung Süden als 4-Meter-Korridor ertüchtigt, für die Strecke von Brig nach Novara und Gallarate befindet sich ein entsprechender Ausbau in Planung.
Deutschland hoffnungslos zurück
Beim Nordzulauf sieht das anders aus. Deutschland hängt im Rheintal hoffnungslos hinterher. Der viergleisige Ausbau soll den Fernverkehr vom langsameren Güter- und Nahverkehr trennen und mehr Kapazität sowie höhere Geschwindigkeiten ermöglichen, aber die 182 Kilometer lange Strecke zwischen Karlsruhe und Basel ist längst nicht auf dem Stand, wo sie nach einem Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der Schweiz von 1996 sein müsste. Ihr Ausbau sollte mit der Verkehrsnachfrage Schritt halten, heißt es da – eine konkrete Jahreszahl aber wurde nicht festgehalten.
Verzögerungen und Kostenexplosion
Die Erweiterung des Abschnitts geht auch wegen vielerlei Einsprüchen nur mühsam voran. Nach derzeitigem Stand sollen die Arbeiten erst 2035 abgeschlossen sein, sagte ein Bahnsprecher. Und danach muss die bestehende Strecke noch für höhere Geschwindigkeiten ausgebaut werden. Das wird voraussichtlich bis 2041 dauern, mit Behinderungen ist zu rechnen. Gleichzeitig explodieren die Kosten: 2016 noch mit 11,6 Milliarden Euro angegeben, liegen sie laut Sprecher jetzt bei 14,2 Milliarden Euro, die Mehrkosten für das Unglück beim Tunnelbau in Rastatt sind da noch nicht einberechnet.
Das Unglück von Rastatt, als sich 2017 die Gleise senkten und die viel befahrene Route knapp zwei Monate lang gesperrt werden musste, hat dem Gesamtprojekt einen herben Rückschlag beschert. Der Tunnel sollte eigentlich 2022 in Betrieb gehen, jetzt wird Ende 2025 angepeilt. Immerhin ist inzwischen die Offenlage zum geplanten rund 6,8 Kilometer langen Tunnel bei Offenburg erfolgt. Nach aktuellen Planungen ginge er auch Ende 2025 in Betrieb.
Kapazitätsgrenze erreicht
„Im Grunde genommen stößt die Strecke Karlsruhe-Basel bereits jetzt an ihre Kapazitätsgrenze“, sagte ein Sprecher des Schweizer Bundesamtes für Verkehr. Zwar haben die Schweiz und Deutschland 2019 eine Ministererklärung verabschiedet, wonach betriebliche Maßnahmen mittelfristig neue Kapazitäten schaffen sollen. „Diese dürften zumindest bis Mitte des Jahrzehnts die Situation etwas entspannen, sofern weitere Faktoren wie Qualität und die Umstellung auf das europäische Zugsicherungssystem ETCS hinzukommen“, hoffte er. Läuft alles glatt, könnte die Kapazität für den internationalen Schienengüterverkehr um 50 Züge auf mindestens 225 Züge pro Tag angehoben werden.
Alternative in Frankreich
Die Schweizer aber trauen nach vielen Enttäuschungen dem Braten nicht mehr. Die Regierung sucht inzwischen einen Ausweg aus dem nicht von ihr verursachten Dilemma und strebt mit Frankreich und Belgien verbindliche Vereinbarungen zum Ausbau der Bahn auf der gegenüberliegenden Rheinseite an. In Frankreich wird derzeit der Nutzen eines 4-Meter-Korridors für Transitverkehre untersucht. Die Schweiz ist bereit, für die Ausweichstrecke im Raum Basel zwei Tunnel auszubauen.
Keine volle Wirkung der Flachbahn
Die Eidgenossen haben sich ihr Flachbahnprojekt zur Verkehrsverlagerung bisher umgerechnet mehr als 21 Milliarden Euro kosten lassen, umso schmerzlicher wäre es, wenn sich die Investitionen als Wechsel auf eine ungewisse, weit entfernte Zukunft erweisen sollten. Immerhin handelt es sich um einen gesetzlich verankerten Volksauftrag zum Schutz der sensiblen Alpenregion. Mit dem Ceneri-Basistunnel sollte die NEAT eigentlich ihre volle Wirkung entfalten.