Strompreise: Güterbahnen fordern Schutz

07. Sept. 2022 Newsletter
Die aktuellen Auswüchse bei den Strompreisen könnten ausgerechnet die Güterbahnen treffen. So sind die Preise für Bahnstrom in der gesamten Europäischen Union je nach Mitgliedsstaat um 300 bis 1.000 Prozent gestiegen, warnt der europäische Kombiverkehrsverband UIRR. Er fordert dringend regulierte Bahnstrompreise, weil das KV-System, bei dem die Langstrecke auf der Schiene und der Rest auf der Straße zurückgelegt wird, zwingend auf die elektrische Güterbahn angewiesen ist. Die meisten Intermodalunternehmen und Umschlagterminals sowie viele Anbieter von Schienengüterverkehren seien kleine und mittlere Unternehmen, die eine solch dramatische Veränderung bei einer unersetzlichen Ressource nicht abfedern könnten, betont der Verband.
Strompreis regulieren
Ein von der EU-Kommission jetzt informell vorgelegtes Diskussionspapier zu Notmaßnahmen auf dem Strommarkt empfiehlt den Mitgliedsstaaten, „den Strompreis für volatile Verbrauchergruppen zu regulieren“. Hierzu gehörten eindeutig die Akteure des Kombinierten Verkehrs, unterstreicht die UIRR. Sie will, dass Brüssel den Mitgliedsstaaten ausdrücklich vorschlägt, KV-Unternehmen in einen regulierten Strompreis einzubeziehen. „Der intermodale Güterverkehr sollte mit Blick auf seine herausragende sozio-ökonomische Leistung von den explosiven Strompreiserhöhungen angemessen abgeschirmt werden“, sagt UIRR-Präsident Ralf-Charley Schultze.
Doppelte Subventionen für fossile Brennstoffe
Hinzu komme eine krasse Unwucht im Vergleich zum reinen Straßentransport, wo laut der Internationalen Straßentransport Union (IRU) der Preis für Dieselkraftstoff vor Steuern seit Januar nur um 69 Prozent gestiegen sei. Mitten in der Klimakatastrophe und bei einer politisch angestrebten Verkehrswende hatte zudem die OECD am 29. August gemeinsam mit der Internationalen Energieagentur einen Bericht über die Subventionen für fossile Brennstoffe vorgelegt. Darin wird festgestellt, dass diese sich für Erdölprodukte in den 51 von der OECD überwachten Industrieländern anteilig beinahe verdoppelt haben.
Unwucht zur Straße
„Der Kombinierte Verkehr kann unter diesen Bedingungen nicht mit dem Lkw-Fernverkehr konkurrieren“, stellt die UIRR fest. Nachhaltig ist das beschriebene Szenario nicht, denn intermodale Transportketten verbrauchen dem Verband zufolge im Vergleich zum reinen Straßentransport mit einem Euro-6-Lkw bis zu 70 Prozent weniger Energie. Das sei für Europa eine erhebliche Einsparung beim Diesel, und das zuverlässige Funktionieren dieser Verkehre liege „klar im Interesse der europäischen Bürger und Wirtschaftsakteure“, wird hervorgehoben.
Entlastungspaket hilft nicht
Auch angesichts des dritten Entlastungspakets der Bundesregierung kommt bei den Güterbahnen keine Freude auf. Es bringe keinerlei Erleichterung für die Unternehmen auf der Schiene, und klimafreundliche Eisenbahnen würden nicht vor den hohen Strompreissteigerungen bewahrt, kritisiert ihr Verband NEE. Wenn die gesetzlich beschlossene Erhöhung der CO2-Abgabe ausgesetzt werde, entlaste man den Straßengüterverkehr, sagt Geschäftsführer Peter Westenberger. Die Regierungskoalition sende so das Signal, dass die Verkehrswende nicht wichtig sei.
Schieneninvestitionen reichen nicht
Der Haushaltsentwurf für 2023, der jetzt im Bundestag diskutiert wird, könnte diesen Schluss zulassen. „Es gibt keine deutliche Steigerung bei den Investitionen im Schienenverkehr, obwohl das im Koalitionsvertrag steht“, sagt Sarah Stark vom Deutschen Verkehrsforum (DVF). Für alle Transporte, besonders auch für den Vorrang von Energietransporten, müssten die Schienenkorridore wieder leistungsfähig werden. Diese seien Jahrzehnte unterfinanziert und den Anforderungen nicht mehr gewachsen „Die Lösungen liegen auf dem Tisch und müssen nun endlich umgesetzt und auskömmlich finanziert werden.“
Mittel für Digitalisierung gekürzt
Die Abgeordneten hätten aber in den anstehenden Haushaltsverhandlungen die Möglichkeit, andere Schwerpunkte zu setzen und Gelder umzuverteilen, was dringend erforderlich sei, sagt Stark. Ein wichtiger Punkt sei unter anderem die Digitalisierung der Leit- und Sicherungstechnik, mit der mehr Züge auf dem gleichen Netz fahren könnten. Diese Mittel seien gekürzt worden. „Wie die Bundesregierung ihr geplantes Wachstum auf der Schiene realisieren und die Klimaziele erreichen will, ist mir unklar“, stellt die Schienenverkehrsexpertin fest.
Finanzierung langfristig sichern
Das DVF fordert zudem langfristige Finanzierungen, die Planungssicherheit gewähren. „Die jährliche Haushaltsführung ist Gift“, sagt Stark. Und die Schweiz hat längst gezeigt, dass sich mit einem Fonds große Infrastrukturprojekte im Zeit- und Kostenrahmen umsetzen lassen. Eine Anfrage der Fachzeitschrift trans aktuell bei den Koalitionspartnern hierzu hat der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel beantwortet, der auch der Beschleunigungskommission Schiene des Verkehrsministeriums angehört.
Schwierige Haushaltsverhandlungen
Er schlägt ganz ähnliche Töne an: „Es gibt bei der Planung und Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen leider noch immer erhebliche Engpässe, die mit höheren Investitionsmitteln allein nicht aufgelöst werden können“, sagt er. Hier spiele eine mehr- und überjährige Finanzierungssicherheit eine wichtige Rolle. Das Thema müsse in der Koalition geklärt werden und auch die Beschleunigungskommission werde sich damit befassen. Es müsse gelingen, Investitionen in die lange vernachlässigte Schiene weiter hochzufahren. Im Jahr 2022 seien sie erhöht worden, aber: „Für den Haushalt 2023 stehen schwierige Verhandlungen bevor“, sagt er.