DEKRA: Tote-Winkel-Aktion für Viertklässler

12. Nov. 2018
Die Fachzeitung trans aktuell hat mit der Spedition Wiedmann & Winz und DEKRA eine Tote-Winkel-Aktion für Viertklässler organisiert. Fünf Stufen führen nach oben. Doch die kleine Kletterübung lohnt sich. Wer erst mal oben ist im Lkw-Fahrerhaus, darf auf der Fahrerseite Platz nehmen, die Hupe testen und den Ausblick aus luftiger Höhe genießen. „Na, das ist schon anders als in Papas Auto, oder?“, fragt Carsten Effenberger die Viertklässler der Grundschule Großbettlingen (Kreis Esslingen), die ihn im Fahrerhaus der Daimler-Actros-Zugmaschine besuchen.
Und natürlich lässt Effenberger, Fuhrparkleiter der Spedition Wiedmann & Winz aus Geislingen an der Steige, die Kids auch einen Blick in die vielen Spiegel vorne sowie zur Linken und zur Rechten werfen. Denn genau darauf zielte die Aktion ab, und deswegen hatte Effenberger den blauen Sattelzug auf einen Parkplatz nahe der Grundschule gefahren: Die knapp 50 Kinder der beiden vierten Klassen sollten die Gefahren des toten Winkels am Lkw kennen lernen und Tipps bekommen, wie sie sich richtig verhalten, wenn sie zu Fuß oder mit ihrem Fahrrad in der Nähe eines Lkw sind.
Eine komplette Schulklasse verschwindet im toten Winkel
Denn trotz aller Spiegel und trotz idealer Spiegeleinstellung: Der Lkw-Fahrer kann einen Bereich rechts von seinem Sattelzug nur sehr unzureichend oder gar nicht einsehen – das birgt Gefahren für Fußgänger und Radfahrer. „Das gilt erst recht dann, wenn es dunkel oder schlechtes Wetter ist und auch noch Regentropfen auf dem Spiegel sind“, erklärte Jörg Sautter, Leiter der Reutlinger Niederlassung der Prüforganisation DEKRA. Wie groß der tote Winkel ist, verdeutlichte er den Kids eindrucksvoll, indem er diesen Gefahrenbereich mit grünen Klebebändern am Boden markierte. Eine komplette Schulklasse verschwand darin.
DEKRA appelliert daher mit einer neuen Aufkleber-Kampagne seit September an Radfahrer, den Bereich rechts vom Lkw zu meiden und an Ampeln stattdessen hinter dem Lkw zu warten. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) lässt es zum Leidwesen von DEKRA zurzeit noch zu, dass Moped- oder Radfahrer an der Ampel einen wartenden Lkw rechts überholen (Paragraph 5, Satz 8). Das Tückische dabei ist, dass der Raum auf der rechten Seite nur deshalb entsteht, weil der Lkw rechts abbiegen will. Der Lkw ordnet sich also bewusst etwas weiter links ein, um auszuholen und die Rechtskurve zu fahren. DEKRA warnt vor einer tödlichen Falle für Radfahrer und fordert, dass diese Passage in der StVO gestrichen wird.
„Fahr niemals rechts vorbei!“ steht daher in Großbuchstaben auf einem neuen Aufkleber den DEKRA Speditionen zur Verfügung stellt. Dr. Micha Lege, Geschäftsführer von Wiedmann & Winz, brachte den Aufkleber in der Dreiecksform eines Verkehrszeichens gleich am Heck des Sattelaufliegers an. Zum Glück habe es in seiner Flotte – die rund 100 eigene Lkw umfasst – noch keinen Tote-Winkel-Unfall gegeben, sagt Lege. „Wenn ich euch so sehe, werde ich alles tun, um Unfälle im Straßenverkehr zu vermeiden – das ist unsere Pflicht als Spediteure“, erklärte Lege, der selbst zweifacher Familienvater ist.
Wiedmann & Winz ordert Actros mit Abbiegeassistenten
Ein Schlüsselerlebnis für ihn war vor einigen Jahren eine Demonstration eines Bremsmanövers eines Lkw mit und ohne das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) auf einem Flugplatz. Auf nasser Fahrbahn sei das Fahrzeug in eine Mauer gekracht, Auflieger und Zugmaschine hätten sich ineinander verkeilt, berichtet der Spediteur. „Wenn das in einer Kreuzung passiert wäre, hätte das gravierende Folgen gehabt“, sagt Lege. Zwar ist seit November 2014 der Einbau von Fahrstabilitätsregelsystemen wie ESP für Neufahrzeuge Pflicht. Der Einbau von Abbiegesystemen zum Schutz von Fußgängern und Radfahrern jedoch ist noch nicht vorgeschrieben.
Daher will Lege hier mit gutem Beispiel voran gehen. Er hat dieses Jahr 20 Mercedes-Benz-Zugmaschinen geordert, die mit jeweils einem radarbasierten Abbiegeassistenten ausgestattet sind. Dieser weist den Fahrer sowohl optisch als auch akustisch auf Gefahren hin, sollte sich eine Person beim Rechtsabbiegen im toten Winkel befinden. Daimler ist allerdings noch der einzige Hersteller, der ein System mit dieser Technik optional ab Werk anbietet. Einige andere Anbieter können ihre Lkw auf Wunsch zumindest mit Kamera-Monitor-Systemen ausrüsten, die den toten Winkel sichtbar machen.
Inzwischen macht auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) entsprechend Druck und setzt sich für eine verpflichtende Ausrüstung mit diesen Systemen ein. Bis EU-weit der Einbau verpflichtend geregelt ist, werden aber noch einige Jahre vergehen. Daher forciert die Bundesregierung im ersten Schritt eine Lkw-Ausrüstung mit Abbiegesystemen auf nationaler Ebene. Ab nächstem Jahr steht dafür ein Förderprogramm mit einem Volumen von fünf Millionen Euro zur Verfügung.
Im Juli startete Scheuer ferner die Aktion Abbiegeassistent, die eine freiwillige Nachrüstung mit entsprechenden Systemen zum Ziel hat. Dieser Initiative haben sich bisher 44 Unternehmen angeschlossen, darunter Speditionen wie Hellmann und DB Schenker, Lebensmittelhändler wie Aldi oder Edeka, aber auch die Prüforganisation DEKRA. Die Sicherheitspartner verpflichten sich, ihre Fahrzeuge freiwillig mit den Sicherheitssystemen auszurüsten.
Die Initiative hat einen ernsten Hintergrund: Zwar sinkt die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland seit Jahren, voriges Jahr etwa waren 3.180 Todesopfer auf Deutschlands Straßen zu beklagen. Gegen den Trend gibt es aber bei Unfällen mit Radfahrern keine Fortschritte. 382 Radfahrer kamen 2017 in Deutschland ums Leben, 37 davon bei Lkw-Abbiegeunfällen. Häufig sind Kinder die Opfer – was die Notwendigkeit von Verkehrserziehung und gegenseitiger Rücksichtnahme unterstreicht.
Bei der Grundschule Großbettlingen passte die Aktion prima ins Konzept. Die beiden vierten Klassen machen in diesen Tagen ihren Fahrradführerschein und wissen nun auch, wie sie sich als Radfahrer in der Nähe eines Lkw verhalten.