Verdi fordert mehr Fairness im Transport

07. Mai 2019
Logistikunternehmen soll es nicht mehr möglich sein, Qualitäts- und Sozialstandards eines Landes durch Gründung von Briefkastenfirmen im grenznahen Ausland zu unterlaufen. Das ist eine der Kernforderungen der Gewerkschaft Verdi, die sich hier auch durch die Ziele des EU- Mobilitätspakets bestätigt sieht. Die Verdi-Verantwortlichen sind überzeugt, dass die Mehrzahl der mittelständischen Speditionen davon profitiert, wenn den Großen der Gang ins billigere Ausland erschwert wird. „Es liegt im Interesse der Unternehmen, nicht durch unlauteren Wettbewerb in den Abgrund gerissen zu werden“, betont Stefan Thyroke, Bundesfachgruppenleiter für den Bereich Speditionen, Logistik und KEP, im Gespräch mit trans aktuell.
Verdi: Briefkastenfirmen in allen EU-Grenzgebieten
Wie verbreitet Briefkastenfirmen sind und wie stark sie die Branche schädigen, hat die Studie „Soziale Bedingungen in der Logistik in Europa“ ans Licht gebracht, die Verdi diese Woche auf einer internationalen Konferenz in Berlin vorstellt. „Es gibt einen verstärkten Einsatz von Briefkastenfirmen in allen EU-Grenzgebieten, egal, ob zwischen Dänemark und Deutschland, Österreich und der Slowakei oder Polen und der Ukraine“, sagt Gewerkschafter Thyroke.
Die Tendenz zum Gründen solcher Scheinfirmen hänge also nicht mit den Erweiterungsrunden der EU, sondern mit niedrigeren Löhnen im jeweiligen Nachbarland zusammen. So sei Deutschland ein beliebtes Land für Ansiedlungen dänischer oder niederländischer Firmen, während polnische Flottenbetreiber gern in die Ukraine ausweichen. „Es gibt also nicht nur Lohndumping zwischen ¬neuer und alter EU, sondern auch innerhalb der alten EU“, berichtet Thyroke.
Verdi begrüßt Rückkehrpflicht für Lkw und Fahrer
Nach Ansicht der Gewerkschaft gibt es adäquate Mittel, um Briefkastenfirmen unattraktiv zu machen. „Ein wesentlicher Punkt ist die im EU-Mobilitätspaket verankerte Rückkehrpflicht von Fahrern und Fahrzeugen nach spätestens vier Wochen in ihr Heimatland“, erläutert Stefan Thyroke. Er begrüßt die vom EU-Parlament auf den Weg gebrachten Maßnahmen.
Allerdings steht und fällt für Gewerkschafter das Ganze mit einer effektiven Kontrolle. Hier hinke Deutschland im Ländervergleich hinterher, sagt Thyroke, und fordert einen deutlichen Ausbau der mobilen Kontrollen. „Lkw-Fahrer berichten uns, dass sie seit 40 Jahren nicht angehalten wurden“, sagt er. „Andere Länder wie Belgien und Frankreich machen es uns vor, wie man effektiv kontrollieren kann.“ Die schiere Zahl der Kontrollen sei dort höher, die Bußgelder fielen saftiger aus, und die Maßnahmen zum Eintreiben der Gelder seien drastischer. Der Lkw wird mitunter so lange stillgelegt, bis das Geld aus dem Ausland überwiesen ist.
Verdi baut auf europäischen Mindestlohn
Um der Tarifflucht einen Riegel vorzuschieben, baut die Gewerkschaft auch auf einen europä¬ischen Mindestlohn – und sieht sich mit dieser Forderung nicht mehr allein. Die SPD zieht damit in den EU-Wahlkampf. So lasse sich das extreme Gefälle angleichen – von rund zwölf Euro in Luxemburg bis nicht einmal zwei Euro in Bulgarien. Deutschland ist mit aktuell 9,18 Euro im oberen Drittel.
Die Studie und der Austausch mit Kollegen aus dem Ausland haben den Verdi-Verantwortlichen auch in anderer Hinsicht Handlungsbedarf aufgezeigt. „Es wurde deutlich, dass die deutsche Logistikbranche im westeuropäischen Vergleich die geringste Tarifbindung hat“, sagt der Bundesfachgruppenleiter. In den Niederlanden und Belgien seien 80 bis 90 Prozent der Betriebe tarifgebunden, in ¬Dänemark und Österreich sei die Quote ähnlich hoch. „In Deutschland gehen wir gerade mal von 20 bis 30 Prozent aus“, so Thyroke.
OT-Mitgliedschaften sind Verdi Dorn im Auge
Ein Problem sind für Verdi die OT-Mitgliedschaften, also Mitgliedschaften in den Verbänden ohne Tarifbindung. „Dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die Tarifbindung zu stärken, wird ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein“, kündigt Thyroke an. Einen Ansatz sieht er darin, einen Branchentariflohn vom Bundesarbeitsminister als allgemein verbindlich erklären zu lassen. Aber dazu muss auch die andere Tarifseite zustimmen. Wie er sie -überzeugen möchte? „Es ist für die Unternehmen eine Maßnahme des Selbstschutzes, um als deutsche Firma mit deutschem Tarifgehalt im europäischen Wettbewerb bestehen zu können“, erklärt Thyroke und zitiert, was er beim vergangenen DSLV-Unternehmertag gesagt hat: „Es ist noch nie ein Betrieb in Deutschland aufgrund eines Tarifvertrags pleitegegangen.“
Die Studie
• Verdi hat die Studie „Soziale Bedingungen in der Logistik in Europa“ mit Gewerk-schaften aus Dänemark und Belgien, der ETF und der EVA-Akademie erstellt und dafür die Beschäftigungs- und Tarifbedingungen in Deutschland, Dänemark, Belgien, Frankreich, den Niederlanden, in Polen, Tschechien und Österreich analysiert.
• Nach umfangreicher Datenerhebung mit Fragebögen an Unternehmer, Betriebsräte und Gewerkschafter folgten Workshops zu den nationalen Gegebenheiten und Experteninterviews. Über 500 Rückläufer kamen zusammen, in Deutschland dank Unterstützung des BGL mehr als 100. WMP Consult hat das Projekt wissenschaftlich begleitet. Im nächsten Schritt wollen die Akteure die Studie erweitern und Länder wie Spanien, Italien, Schweden, die Slowakei, Ungarn und Rumänien einbeziehen.